Wer ist betroffen?
40% der heute in der Schweiz lebenden MigrantInnen sind betroffen. Nämlich jene, die nicht aus einem EU-Land kommen. Das zeigt, dass das Gesetz einen tiefen Graben aufreisst. Rund 700'000 Menschen, die seit Jahren regulär in der Schweiz leben und arbeiten, werden ausgegrenzt. Aber auch alle SchweizerInnen, die mit einer/m Nicht-EU-BürgerIn verheiratet sind, werden benachteiligt. Diskriminierung, unsinnige Ungleichbehandlung innerhalb der Schweiz Das Gesetz produziert MigrantInnen 1. und 2. Klasse. Dabei gibt es keinen vernünftigen Grund, weshalb zwischen MigrantInnen, die alle hier leben und arbeiten, nur aufgrund des Passes rechtlich unterschieden werden soll.
- Beispiel: Der seit über 10 Jahren in der Schweiz lebende Secondo Mehmet, hat seine Lehre hier absolviert und hat eine feste Stelle. Seine Freundin wohnt in einem anderen Kanton und sie wollen zusammenziehen. Der Kantonswechsel von der Fremdenpolizei nicht bewilligt (ist im Ermessen der Fremdenpolizei). Der aus Polen neu zugezogene Marek kann problemlos den Kanton wechseln.
Integrationsfeindlich
Nicht-EU-BürgerInnen werden vom neuen AuG in eine prekäre, unsichere Situation versetzt und es werden ihnen unnötige zusätzliche Hürden in den Weg zur Integration gestellt. Selbst nach 10 Jahren regulären Aufenthalts in der Schweiz wird Nicht-EU-BürgerInnen kein Rechtsanspruch auf Niederlassung (Bewilligung C) zugestanden. Diese Unsicherheit in Bezug auf die Aufenthaltsrechte behindert die Integration massiv. Die Menschen bleiben der Behördenwillkür ausgesetzt. Kurzaufenthalter von ausserhalb der EU haben überhaupt keine Rechtsansprüche, weder auf Stellenwechsel noch auf ein normales Familienleben.
- Beispiel: Die türkische Familie XY lebt seit 25 Jahren in der Schweiz. Herr und Frau XY haben beide eine feste Stelle, sie haben immer ihre Steuern bezahlt und sich nie etwas zu Schulden kommen lassen. Die Familie, einschliesslich Sohn Ali (16 Jahren), der eine Schreiner-Lehre absolviert, haben auch nach 25 Jahren in der Schweiz nur eine prekäre Jahresbewilligung, die jährlich erneuert werden muss. Sie bekommen keine C-Bewilligung, da die Familie vor ein paar Jahren in einer schwierigen Situation einen Kleinkredit aufgenommen hatte.
Behördenwillkür
Gemäss dem neuen AuG haben die zuständigen Behörden in gewissen Fällen den «Grad der Integration» in Betracht zu ziehen. Die Idee, Integration messen zu wollen, ist höchst fragwürdig. Der behördlichen Willkür öffnet das Gesetz Tür und Tor. Die Gefahr von willkürlichen Behördenentscheiden, die ein solch beschränktes Verständnis von Integration nach sich zieht, gilt sowohl für Migranten aus Nicht-EU-Staaten als auch für Personen aus der EU.
- Beispiel: Maria aus Kolumbien lebt und arbeitet seit über 10 Jahren in der Schweiz. Ihr Freundeskreis besteht nur aus SchweizerInnen. Neben ihrem Job als Krankenpflegerin, unterrichtet Maria im Turnverein. Für die C-Bewilligung verlangt das Migrationsamt den Nachweis, dass sie gut integriert ist und sie muss dafür bei der Gemeinde einen schriftlichen Sprachtest machen. Sie besteht den schriftlichen Test nicht und gilt als nicht integriert und bekommt die C-Bewilligung nicht.
Massive Einschränkungen beim Familiennachzug
Während EU-Bürger ihre Kinder bis 21 Jahre problemlos nachziehen können, muss der Familiennachzug bei Nicht-EU-Bürgern innerhalb der ersten fünf Jahre erfolgen. Kinder über 12 Jahre müssen sogar innerhalb von 12 Monaten nachgezogen werden. In der Tat ist es integrationspolitisch (häufig, aber nicht immer!) von Vorteil, wenn Kinder früh nachgezogen werden. Oft wird der rasche Familiennachzug aber ausgerechnet durch behördliche Auflagen verhindert: zum Beispiel müssen gute Einkommensverhältnisse nachgewiesen werden, eine „angemessene“ Wohnung vorhanden sein etc. Diesbezüglich sind die Menschen gänzlich vom Gutdünken der Fremdenpolizei abhängig.
- Beispiel: Damir (aus Bosnien-Herzegowina) lebt seit über 15 Jahren in der Schweiz, hat eine feste Stelle, spricht sehr gut deutsch. Jetzt wo er besser verdient, möchte er gerne seine Frau und seine zwei Kinder (7 und 16 Jahren) in die Schweiz nachziehen, damit sie endlich als Familie zusammenleben können. Damir erhält nur die Erlaubnis, seine Frau und sein jüngeres Kind nachzuziehen. Auch Manuel (aus Portugal) hat eine feste Stelle. Er arbeitet seit 8 Monaten in der Schweiz. Richtigerweise kann er problemlos seine Frau und seine zwei erwachsenen Kinder (17 und 19 Jahre) in die Schweiz holen. Familie Kolic in GR (siehe Presse). Zeigt exemplarisch, wie Behörden willkürlich und repressiv den Familiennachzug verweigern.
Familiennachzug und Heirat
Auch Schweizer werden diskriminiert!
Ist ein Paar verheiratet, besteht Zwang zum Zusammenleben. Dies gilt für Ehen unter Nicht-EU-Bürgern, neu aber auch für SchweizerInnen, die eine Partnerin oder einen Partner von ausserhalb der EU heiraten. Hier werden SchweizerInnen schlechter gestellt als EU-BürgerInnen und ihre Partner, denn Letztere sind nicht zum gemeinsamen Haushalt verpflichtet.
Kindern aus binationalen Ehen mit Schweizer Elternteil wird der Rechtsanspruch auf eine Niederlassungsbewilligung nur bis zum zwölften Lebensjahr gewährt. Während EU-BürgerInnen ihre Kinder ohne Befristung nachziehen können, müssen SchweizerInnen ihre Kinder bis zum 12. Altersjahr innert fünf und hernach gar innert einem Jahr nachziehen. Damit werden SchweizerInnen gegenüber EU-BürgerInnen auch hier diskriminiert!
- Beispiel: Andrea (Schweizerin) ist seit 6 Jahren mit James (Jamaika) verheiratet. Sie haben zwei gemeinsame Kinder. Andrea und James wollen die 13-jährige Tochter Lara aus erster Ehe, die bis anhin bei der Grossmutter auf Jamaika aufgewachsen ist, in die Schweiz holen. Sie haben sich dazu entschlossen, da sie jetzt eine Familie sind und die Grossmutter alt ist. Der Familiennachzug von Lara wird nicht bewilligt. Begründung: Die Beziehung zur Tochter sei verloren gegangen.
Behörden schnüffeln in Beziehungen
Binationale Ehen werden in Zukunft einen schweren Stand haben, denn die Standesbeamten werden neu sogar ermächtigt, eine Eheschliessung zu verweigern, wenn sie den Verdacht hegen, es handle sich um eine Scheinehe. Mit welchen Mitteln die Beamten Scheinehen feststellen wollen, bleibt dahin gestellt. Das neue AuG öffnet Willkür und Schnüffelmethoden Tür und Tor. Damit wird das Grundrecht der Ehefreiheit eingeschränkt. Ein unglaublicher Eingriff in die persönliche Freiheit.
Bundesrat bricht Versprechen: Gewaltopfer werden weiter doppelt bestraft
Bei Trennung der Ehegemeinschaft vor Ablauf von drei Jahren, was einer heute weit verbreiteten Realität entspricht, besteht kein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung. Besonders stossend bleibt, dass Opfer ehelicher Gewalt, die ihren Ehepartner verlassen, ausgewiesen werden können – selbst dann, wenn die häusliche Gewalt nachgewiesen ist. Von einer zivilstandsunabhängigen Aufenthaltsbewilligung und der in diesem Zusammenhang durch den Bundesrat in Aussicht gestellten Berücksichtigung der «Initiave Goll» ist im neuen AuG keine Rede mehr, und dies obschon der Nationalrat diese bereits zweimal gut geheissen hatte.
- Beispiel: Die Thailänderin Sonia ist seit über zwei Jahren mit ihrem Schweizer Ehemann Emil verheiratet. Seither lebt sie in der Schweiz. Sie arbeitet als Kassiererin in der Migros. Sonia wird von ihrem Mann immer wieder geschlagen. Als sie deswegen das Frauenhaus aufsucht und sich schliesslich von ihm trennt, verliert Sonia ihre Aufenthaltsberechtigung («Verbleib beim Ehemann») und wird aus der Schweiz weggewiesen.
Unverhältnismässige Zwangsmassnahmen
Das Gesetz ist eine einzige Misstrauenskundgebung gegenüber den AusländerInnen, die allein aufgrund ihrer Herkunft mit einem Bein im Gefängnis stehen! Über ein Drittel der Artikel im Gesetz sind strafrechtliche Bestimmungen. Das AuG erweist sich so als ausuferndes Sonderpolizeirecht gegen Personen von ausserhalb der EU. Neben Strafverschärfungen und dem Ausbau der Haftmöglichkeiten werden zusätzlich neue Straftatbestände eingeführt. Die unverhältnismässigen Zwangsmassnahmen des Asylgesetzes gelten auch für das Ausländerrecht. Einer Missbrauchsbekämpfung ohne Augenmass wird alles untergeordnet. Welche Haltung gegenüber den ausländischen Mitmenschen im Gesetz durchschlägt, zeigt auch, dass der längste Abschnitt (über 20 Artikel !) sich mit der Beendigung des Aufenthalts befasst.
- Beispiel: Marys Asylgesuch wurde abgelehnt. Nach diesem Entscheid ist sie zum Sans-papiers geworden und kann jederzeit in Ausschaffungshaft genommen werden. Im Juni wurde sie im Sommerrock festgenommen und im kalten Februar im selben Kleid wieder entlassen. Neu soll sie aber zwei Jahre festgehalten werden können, ohne irgend ein Delikt begangen zu haben. Danach folgen die Gefängnisstrafen wegen illegalem Aufenthalt. Mary verbringt ihre besten Jahre hinter Gittern, nur weil sie illegalisiert worden ist.
Das Gesetz treibt verstärkt Menschen in die Illegalität!
Vor allem die Zulassungsbeschränkung auf Hochqualifizierte, aber auch die Einschränkungen beim Familiennachzug führen dazu, dass noch mehr ArbeiterInnen in der Schweiz in die Illegalität gedrängt werden. Dabei muss auch das Departement von Bundesrat Blocher eingestehen, dass bereits jetzt gegen 100'000 Sans-Papiers in der Schweiz leben und arbeiten. Doch im Gesetz werden pragmatische Modelle für eine Regularisierung der Sans-Papiers weiter ignoriert.
- Beispiel: Marta arbeitet seit 7 Jahren in der Schweiz als Haushaltangestellte. Sie hat ihren Unterhalt von ihrem ersten Tag in der Schweiz selber verdient. Ihre Arbeitgeber, die mit Martas Arbeit äusserst zufrieden sind, haben alles daran gesetzt, für sie eine Bewilligung zu bekommen – chancenlos! Obwohl sie in der Schweiz arbeitet, Sozialversicherungen zahlt, sich nie etwas zuschulden kommen lassen hat, mittlerweilen die Landessprache spricht und sich hier Zuhause fühlt, muss sie «illegal» bleiben.
Verpasste Chance
Das heute gültige Gesetz (ANAG) stammt von 1931. Nach über 70 Jahren soll nun die Ausländer-gesetzgebung total revidiert werden, doch mit diesem AuG wird eine einmalige Chance vertan. Zwar werden erstmals Integrationsartikel im Ausländerrecht verankert. Das ist positiv, doch diese Artikel werden durch viele andere Bestimmungen unterlaufen. Das neue Ausländergesetz löst keine Probleme, sondern schafft neue.
Was wir wollen
Gleiche Rechte und Pflichten für alle in der Schweiz lebenden MigrantInnen: Die im Rahmen der bilateralen Verträge mit der EU eingeführten Verbesserungen (vor allem Rechte im Bezug auf Aufenthaltssicherheit, Familiennachzug, etc.) sollten zum Referenzwert für alle bereits in der Schweiz lebenden und arbeitenden MigrantInnen genommen werden. Das würde echte Integrationspolitik ermöglichen.
Vania Alleva/Natalie Ammann/Anni Lanz/Marc Spescha/27.12.05