Die Asylunterkunft in Meilen trägt keine Anschrift. Man muss sie mit Intuition finden. Ich schreite über die abfallende Rampe in den Untergrund und vernehme ein entferntes Stimmengewirr. Den Stimmen folgend, gelange ich in den neonbeleuchteten Aufenthaltsraum. Der Betreuerin, die am Eingang steht, sage ich, dass ich einen Besuch machen wolle (ich habe mich zuvor telefonisch angemeldet). "Wen wollen Sie denn besuchen?", fragt sie. Dass ich alle und nicht eine namentliche Person besuchen wolle, macht sie misstrauisch: Ich käme wohl, um zu kontrollieren.
Ich mache es mir auf einem Sofa bequem, einige der Asyl Suchenden setzen sich hinzu; wir durchforsten unseren Sprachschatz, um ein gemeinsames Verständigungsidiom zu finden. Irgendwie geht es immer. Ich unterhalte mich mit einem Brasilianer in einem Mix aus Italienisch und Zeichensprache. Dank ein paar Brocken Englisch lässt sich auch mit den irakischen Flüchtlingen plaudern. Die Betreuerin setzt sich nun zu uns, will genau wissen, was auf den Informationsblättern steht, die ich verteile, lässt die Geschenke, die ich auf dem Tisch aufgestapelt habe, in ihren Gewahrsam abführen. Es laufe hier alles sehr gut, meint sie, die Asyl Suchenden blieben nur zwei Monate in der unterirdischen Militärunterkunft. Ich komme mit den Asyl Suchenden nicht mehr ins Gespräch. Ich verabschiede mich und muss der Betreuerin meinen Namen und meine Adresse hinterlassen.
Vor dem Bunker, in einer frühlingshaften Sonne – es ist Anfang Januar – gehen dann die Gespräche mit den Flüchtlingen weiter. Sie beteuern, sie seien zufrieden und dankbar. Der eine ist erkältet, er erträgt die schlechte Luft im Keller nicht. Andere haben Schlafstörungen. Nein, mit MeilenerInnen hätten sie noch kaum gesprochen, die Leute hier seien nicht gesprächsbereit. Eine alte Frau habe zu schreien begonnen, als sich ein junger Asylbewerber mit schwarzer Haut anerbot, ihr die schweren Taschen nach Hause zu tragen. Es sei schwierig, ohne die Familie zu leben, sagte ein anderer. Manchmal weine er. Die Strassen im Quartier der Asylunterkunft sind fast menschenleer. Ein legaler Ausflug nach Zürich ist für die Flüchtlinge beinahe unerschwinglich: 14 Franken für ein Retourbillet – das Sackgeld einer ganzen Woche. Der Zürcher Hauptbahnhof biete ein menschlicheres Klima, sagen sie. Dort sei es wärmer, und man treffe Menschen, mit denen man plaudern könne. Man könne unbefangen herumstehen und errege kaum Argwohn. Die Polizeikontrollen nehme man in Kauf. Auf dem Bahnhof sei man weniger einsam.
Beim Abschied fühle ich mich schäbig. Auf meinen Reisen in Afrika wurde ich stets mit grosser Gastfreundschaft aufgenommen.
Anni Lanz