Anni Lanz | Vorstand Solidarité sans frontières / Solinetz Basel
Im September 2010 unternimmt eine Delegation des Bundesamtes für Migration (BFM) eine 11-tägige Dienstreise nach Sri Lanka und verfasst einen Bericht über die dortige Menschenrechtssituation. Der im Spätherbst 2011 erstellte beschönigende Bericht beruht auf den Handnotizen von Gesprächen mit einer geringen Anzahl nicht bezeichneter IntewievpartnerInnen sowie auf wenigen Informationsquellen und stellt eine „deutliche Normalisierung der Alltagssituation und Entspannung der Sicherheitslage im Norden wie im Osten“ fest. Insgesamt gelangt das BFM zu einer Lageeinschätzung, die derjenigen zahlreicher professioneller Menschenrechtsorganisationen, wie Amnesty International (A.I.), Human Rights Watch (HRW), Asian Human Rights Commission, Gesellschaft für bedrohte Völker, ACAT etc. diametral entgegenstehen. HRW gibt seit 2012 regelmässige Warnungen vor Rückführungen nach Sri Lanka heraus, die sie mit Folterberichten von Zurückgekehrten belegt. Die fast hundert dokumentierten Fälle von willkürlicher Verhaftung, Entführung, Folter und Vergewaltigung sowie von durch Schmiergelder erwirkten Entlassungen stellen bloss die Spitze des Eisbergs dar, haben doch die Opfer mit drastischer Rache durch die Verfolger zu rechnen, falls sie über das erfahrene Unrecht berichten.
Dokumentierte Folter an Ausgeschafften
Die Armee Sri Lankas siegte im Mai 2009 nach 26-jährigem Krieg über die Abspaltungs- und Autonomiebestrebungen der unterdrückten Minderheit der TamilInnen. Doch ein Friedensprozess ist nicht in Sicht. Vielmehr hat sich eine singhalesische Militärdiktatur etabliert, die jeglichen Widerstand und jegliche Kritik mit unrecht-staatlichen Mitteln im Keim erstickt. HRW schreibt in seinem Appell vom 25.10.12: „Die abscheuliche Missachtung von Menschenleben geht weiter.“ Trotz der offiziellen Aufhebung des Notstandes fahren die Sicherheitskräfte Sri Lankas fort, die einer LTTE-Verbindungen verdächtigten TamilInnen zu entführen, zu foltern und verschwindenzulassen. Die aus den westlichen Asylländern zurückgeführten TamilInnen bilden da keine Ausnahme. HRW dokumentierte in seinen letzten Nachrichten die Fälle von 13 aus England deportierten TamilInnen, die bei ihrer Ankunft in Sri Lanka von den dortigen Behörden gefoltert wurden. Eine Tamilin unter den 13 Deportierten berichtete auch von sexuellem Missbrauch durch Agenten“ (HRW: UK Halts Deportation of Some Tamil Asylum Seekers“, 25.10. 2012). Insbesondere Deportierte aus der Schweiz, aus der nach Ansicht des sri lakischen Geheimdienstes LTTE-freundlichen Diaspora, erregen besonderen Argwohn. Der Schweizer Flüchtlingshilfe (SFH) „ist eine Person bekannt, die nach der Rückkehr aus der Schweiz verhaftet wurde. Sie wurde wegen angeblicher Verbindungen zur LTTE beschuldigt und über TamilInnen befragt, die sie in der Schweiz getroffen hatte“ (SFH, Adrian Schuster, Sri Lanka: Aktuelle Situation, Bern, 15. Nov. 2012). HRW hat weitere solche Fälle aus der Schweiz dokumentiert. Während Jahren hatten MitarbeiterInnen der Botschaft Sri Lankas TamilInnen in der Schweiz bei regierungskritischen Veranstaltungen fotografiert.
Noch regen sich zu wenig vernehmbare Proteste in der Schweiz gegen Verletzungen der völkerrechtlichen Rückschiebeverbote. Eine Petition der grossen Hilfswerke ist in der Pipeline, persönliche Briefe an die Behörden gegen die Zwangsausschaffungen nach Sri Lanka könnten ergänzend geschrieben werden. Doch es braucht nun sofortige Interventionen auf höchster Ebene und den Protest auf der Strasse, um die Ausschaffungen im Einzelfall zu verhindern!