Schluss mit der Heuchelei : Der Schutz der SyrerInnen ist möglich !
Amanda Ioset, politische Sekretärin von Solidarité sans frontières
Gemäss dem Hochkommissariat für Flüchtlinge der Vereinten Nationen (UNHCR) haben letztes Jahr mehr als 207‘000 Personen versucht, das Mittelmeer zu durchqueren. Das sind dreimal mehr als 2011, das bisherige Rekordjahr. Unter ihnen befanden sich etwa 70‘000 syrische Flüchtlinge, viele von ihnen im Familienverband. Warum eine solch gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer riskieren, die 2014 fast 4200 Personen das Leben gekostet hat, oder andere, vom Abschottungsregime charakterisierte Wege wie zum Beispiel über Bulgarien, wo die Schweiz selbst heute mithilft, den Stacheldrahtzaun gegen Flüchtlinge zu überwachen?
Ganz einfach aus dem Grund, dass die EU- und Schweizer Migrationspolitik Flüchtlinge immer mehr daran hindert, eine stabile Aufenthaltsbewilligung zu ergattern, indem sie legale und sichere Zugangswege in die „Festung Europa“ immer mehr beschränkt. Ausgenommen das UNHCR-Kontingent von 500 syrischen Flüchtlingen, das sich Frau Bundesrätin Sommaruga verpflichtet hat, bis 2016 aufzunehmen (eine rein symbolische, ja heuchlerische Geste, wenn sie mit den mehr als 3 Millionen SyrerInnen verglichen wird, die ihr Land verlassen mussten), existieren praktisch nur zwei legale Möglichkeiten für Flüchtlinge, in die Schweiz einzureisen: das humanitäre Visum und die Familienzusammenführung.
Es gibt keinen Grund, diese Möglichkeiten derart zu begrenzen. Das humanitäre Visum wird nur Personen ausgestellt, deren Leben oder physische Integrität ernsthaft gefährdet ist. In der Praxis erachten die Behörden jedoch eine Person nicht mehr als ernsthaft gefährdet, wenn sie sich in einem Drittstaat befindet. Da die Schweiz zur Zeit keine Vertretung in Syrien mehr hat, müssen sich alle Personen, die ein Gesuch um ein humanitäres Visum stellen, in einem Drittstaat befinden (Libanon, Türkei…), weshalb sie kaum eine Chance haben, eine positive Antwort zu erhalten. Die Familienzusammenführung ist andererseits nur für Mitglieder der Kernfamilie anerkannter Flüchtlinge möglich, währenddessen die „F-Bewilligte“ (für vorläufig aufgenommene Personen und Flüchtlinge) eine gewisse Anzahl an Kriterien (wie genügend Wohnraum und keine Sozialhilfebezüge) erfüllen und nach der Gewährung der vorläufigen Aufnahme drei Jahre warten müssen, um das Recht auf Familie wahrnehmen zu können.
Am 4. September 2013 haben die Schweizer Behörden gegenüber syrischen Flüchtlingen ein Zeichen gesetzt, indem sie syrischen Flüchtlingen erlaubten, im vereinfachten Verfahren provisorische Visa für ihre Familie zu erhalten. Gemäss dem Bundesamt für Migration (BFM) konnten dank dieser Massnahme mehr als 3500 Personen aufgenommen werden. Unverständlicherweise haben die Behörden die Regeln während des Spiels geändert, ausgerechnet als diese Massnahme Erfolge zeitigte! Das vereinfachte Verfahren wurde am 29. November 2013 fallengelassen. Sie waren nicht einmal drei Monate lang in Kraft.
Angesichts der Tragweite der syrischen Krise muss die Schweiz mehr tun. Das vereinfachte Visa-Verfahren hat gezeigt, dass es möglich ist, schnell und einfach zu reagieren und somit zu verhindern, dass Flüchtlinge gefährliche Wege auf sich nehmen müssen, um hierzulande ein Asylgesuch zu stellen. Diese Massnahme des BFM hat ausserdem gezeigt, dass Tausende von in der Schweiz sesshaften SyrerInnen bereit sind, Familienmitglieder bei sich aufzunehmen und für die Kosten ihres Aufenthalts aufzukommen. Deshalb verlangen wir von Frau Bundespräsidentin Sommaruga, dass sie Massnahmen ergreift, die zum Ziel haben, die Fahrt der syrischen Flüchtlinge in die Schweiz sicherer zu gestalten, indem sie das vereinfachte Visa-Verfahren für Angehörige der erweiterten Familie wieder einführt und auf vorläufig Aufgenommene ausdehnt. Dies gilt im Übrigen genauso bezüglich die Familienzusammenführung.
ES GILT DAS GESPROCHENE WORT