Vernehmlassungsantwort zum EU-Migrations- und Asylpakt

Vernehmlassungen
#NoGEAS

Zusammen mit weiteren Organisationen aus dem «Bündnis unabhängiger Rechtsarbeit im Asylbereich» hat Sosf eine umfangreiche Vernehmlassungsantwort zur Übernahme und Umsetzung der Rechtsgrundlagen zum EU-Migrations- und Asylpakt erarbeitet. Aufgrund der massiven Verschärfungen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) und der damit einhergehenden Aushöhlung des Asylrechts lehnt das Bündnis den EU-Asylpakt vollumfänglich ab. 

 

Simon Noori, Co-Geschäftsleiter von Solidarité sans frontières und Co-Autor der Vernehmlassungsantwort: «Die EU-Asylreform ist ein Kniefall vor den rechten und rechtsextremen Kräften in Europa und basiert auf dem Irrglauben, Migration lasse sich durch Entrechtung und Gewalt tatsächlich aufhalten. Dabei löst die Reform die derzeitigen Probleme im Asyl- und Migrationsbereich nicht, sondern verstärkt sie sogar: Die Staaten an der EU-Aussengrenze werden im Stich gelassen, Asylsuchende werden sanktioniert und interniert und der neue «Solidaritätsmechanismus» ist nur ein lückenhafter Ablasshandel.» 

 

Lara Hoeft, Juristin, Co-Geschäftsleiterin von Pikett Asyl und Co-Autorin der Vernehmlassungsantwort: «Weiterentwicklungen im Sinne von Geflüchteten oder Normen zum Schutz von asylsuchenden Personen sind in der Reform kaum zu finden. Die EU hat es versäumt, das dysfunktionale Dublin-System zu überwinden und eine progressive Migrationspolitik zu etablieren. Menschenwürde und Solidarität mit Geflüchteten, Grund- und Menschenrechte sowie der Zugang zum Recht auf Asyl werden ebenso wenig verteidigt, wie legale Migrations- und Fluchtwege geschaffen werden.»

 

Die Schweiz muss nur die Teile des Paktes übernehmen, die eine Weiterentwicklung des Schengen-/Dublin-Besitzstands darstellen. Sie beteiligt sich jedoch mittelbar an den menschenrechtlich problematischen Verfahren an den EU-Aussengrenzen und profitiert von der europäischen Abschottung, ohne selbst Verantwortung zu übernehmen. Aber auch in der Schweiz wird es zu einschneidenden Verschärfungen für flüchtende Menschen kommen: 

 

- Der Dublin-Mechanismus wird als Grundprinzip beibehalten und im Detail weiter verschärft. Durch die Verlängerung der Dublin-Überstellungsfristen werden flüchtende Menschen noch länger in einer prekären rechtlichen Grauzone gehalten und von Ausschaffungen bedroht sein. 

 

- Neu können Zwangsmassnahmen gegenüber Kindern ab sechs Jahren angewendet werden, z.B. um ihre Fingerabdrücke zu erfassen oder um sie in die vermeintlich zuständigen Mitgliedstaaten auszuschaffen. 

 

- Durch die neue Überprüfungsverordnung und die revidierte EURODAC-Verordnung wird es zu mehr Inhaftierungen und zu einer massenhaften Datenerfassung von Geflüchteten auch im Inland kommen. Das Risiko für Racial Profiling wird sich weiter erhöhen. 

 

- Anstatt die Flüchtenden ihre Zielstaaten wählen zu lassen, wie dies für Vertriebene aus der Ukraine ohne grössere Probleme funktionierte, ignoriert die GEAS-Reform die Interessen der Asylsuchenden. Angesichts der sehr unterschiedlichen Lebens- und Schutzbedingungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten wird dies nicht zu einer Verringerung der Sekundärmigration innerhalb Europas führen. Stattdessen wird sich die Situation von Asylsuchenden aufgrund neuer Sanktionen weiter verschlimmern.

 

Mit der Reform stirbt die Hoffnung auf eine solidarische europäische Asylpolitik. Das Bündnis unabhängiger Rechtsarbeit im Asylbereich lehnt daher die Übernahme des EU-Asylpaktes und die damit einhergehenden menschenverachtenden Verschärfungen auch im Schweizer Asylsystem ab. 

 

Sollte die Übernahme der Reform nicht verhindert werden können, fordert das Bündnis von der Schweiz, dass die bereits jetzt äusserst prekären Lebensbedingungen von Asylsuchenden nicht noch weiter verschlechtert werden. Stattdessen sollten die wenigen Spielräume, die die Reform bietet, zugunsten der Geflüchteten genutzt werden:

 

- Die Schweiz sollte die Haftbedingungen, den Rechtsschutz, die Unterbringung sowie die Rechtsposition migrierter Personen verbessern und den Familienbegriff erweitern. 

 

- Die Schweiz sollte das Schutz- und Lebensniveau von Asylsuchenden und Geflüchteten an europäische Standards angleichen. Es kann nicht sein, dass sich die Schweiz lediglich an den Teilen der Reform beteiligt, die extrem nachteilig für die betroffenen Menschen sind, die europäischen Schutzvorschriften jedoch nicht beachtet. 

 

- Die Schweiz sollte die Rechtsposition vorläufig Aufgenommener an jene des subsidiären Schutzes der EU angleichen.

 

- Die Schweiz sollte sich verpflichtend am europäischen Solidaritätsmechanismus beteiligen, und zwar verbindlich durch Übernahmen von Schutzsuchenden.

 

- Die Schweiz sollte sich zum Kindesschutz bekennen und auf Überstellungen und Zwangsmassnahmen gegenüber Minderjährigen verzichten.

 

- Die Schweiz sollte einen konsequenten, unentgeltlichen Rechtsschutz im Screening-, Asyl- und Wegweisungsverfahren sicherstellen.

 

In der Vernehmlassungsantwort wird detailliert auf die einzelnen Rechtsakte des Paktes und auf ihre Bedeutung für die Schweiz eingegangen. Dabei werden verschiedene Forderungen gestellt, die indes stets zweitrangig hinter derjenigen der Ablehnung des Paktes als Ganzes stehen.

 

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