Französischer Original-Artikel auf asile.ch
Die Motion 23.4241, die vom Nationalrat in der Wintersession 2023 an die Kommission zurückgewiesen wurde, verlangte, die Änderung der Praxis des Staatssekretariats für Migration (SEM) in Bezug auf Asylanträge afghanischer Frauen und Mädchen rückgängig zu machen. Wie wir in unserer Analyse im Dezember zeigten, verstösst dieser Antrag gegen das Recht auf Asyl, da er verlangt, Personen das Asyl zu verweigern, die anerkanntermassen vor Verfolgung in ihrem Land fliehen. Diese Analyse wurde im November vom Bundesverwaltungsgericht (BVGer) bestätigt. Was die von den Motionären angeführte «Sogwirkung» betrifft, so zeigt unsere Aktualisierung der SEM-Statistiken, dass es dafür keinen Grund gibt.
Die Motion 24.3008, die von der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats (SPK-N) als eine Art «Gegenvorschlag» zur ersten Motion vorgeschlagen wurde, ist ebenfalls problematisch, insbesondere weil sie verlangt, die Asylgründe unter Bezugnahme auf das Drittland zu bewerten, in dem sich die afghanischen Frauen angeblich aufgehalten haben, ohne zeitliche Präzisierung, was gegen internationales Recht verstösst.
Worüber sprechen wir?
Zur Erinnerung: Seit Mitte Juli 2023 gelten Asylbewerberinnen aus Afghanistan sowohl als Opfer einer massiv diskriminierenden Gesetzgebung als auch als Opfer religiöser Verfolgung. In dieser Eigenschaft wird ihnen nach einer individuellen Prüfung des Antrags durch das SEM die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Früher erhielten afghanische Frauen in der Regel einen negativen Asylentscheid mit einer vorläufigen Aufnahme, da der Vollzug der Wegweisung als unzumutbar erachtet wurde.
Warum wurde die Praxis geändert?
Seit ihrer Machtübernahme im September 2021 haben die von den Taliban in Afghanistan verhängten Einschränkungen und Verhaltensregeln schwerwiegende Auswirkungen auf die Menschenrechte der afghanischen Bevölkerung, insbesondere von Frauen und Mädchen. In allen Bereichen des täglichen Lebens werden ihre Grundrechte eingeschränkt oder sogar entzogen. Zahlreiche Berichte (SFH, UNHCR, Amnesty International) dokumentieren die Tatsache, dass afghanische Frauen und Mädchen aus objektiven Gründen befürchten müssen, Opfer von Misshandlungen, Unterdrückung und Ausschluss vom sozialen, politischen und beruflichen Leben in diesem Land zu werden. Aufgrund dieser Einschränkungen kam die Asylagentur der Europäischen Union (EUAA) im Januar 2023 zu dem Schluss, dass die Situation von Frauen und Mädchen in Afghanistan eine Verfolgung im Sinne der von der Schweiz ratifizierten Flüchtlingskonvention darstellt. Diese Empfehlungen werden von vielen europäischen Ländern bereits seit über einem Jahr umgesetzt.
Die Rutz-Motion: Ein Angriff auf das Asylrecht
Der Flüchtlingsbegriff, wie er in der Flüchtlingskonvention und im Asylgesetz definiert ist, stellt Kriterien auf, die mit der Verfolgung und den Asylgründen zusammenhängen, nicht damit, ob dies eine grosse Anzahl von Menschen betrifft. Das SEM und die internationale Gemeinschaft sind auf der Grundlage faktischer und beobachtbarer Ereignisse davon ausgegangen, dass afghanische Frauen objektiv von Verfolgung bedroht sind und ihnen daher nach individueller Prüfung einer jeden Situation der Flüchtlingsstatus zuerkannt werden sollte.
Im November 2023 bestätigten die Richter:innen des BVGer die neue Praxis der Bundesbehörden (Urteil des BVGer D-4386/2022 vom 22.11.2023). Das Gericht hält in diesem Urteil fest, dass die radikale und systematische Diskriminierung von Frauen durch die Taliban einen wichtigen Verfolgungsgrund im Sinne des Flüchtlingsrechts darstellt und «dass ein selbstbestimmtes Leben für Frauen und Mädchen in Afghanistan unter dem gegenwärtigen Regime nicht möglich ist».
Das imaginäre Gespenst der «Sogwirkung»
Da die neue Praxis gegenüber afghanischen Staatsbürgerinnen flächendeckend in ganz Europa umgesetzt wird, ist die Schweiz nicht beliebter als andere Länder. Diese Feststellung wird durch die Statistiken des SEM bestätigt. Diese zeigen deutlich, dass die Zahl der afghanischen Frauen und Mädchen, die seit der Praxisänderung in die Schweiz eingereist sind, nicht wesentlich gestiegen ist, sondern eher abnimmt.
Die meisten Begünstigten sind derzeit Frauen, die sich bereits mit einem prekäreren Schutzstatus in der Schweiz aufhalten, dem Ausweis F, der wegen der Unzumutbarkeit von Abschiebungen erteilt wurde. Diese Frauen werden nie nach Afghanistan zurückkehren: Die Änderung des Status wird daher nur ihre Chancen auf eine bessere soziale und wirtschaftliche Integration fördern, um aus der Sozialhilfe auszusteigen.
Die Motion SPK-N: Achtung vor den Grundprinzipien des Asylrechts!
In ihren Grundzügen wird die Motion 24.3008 keine grossen Auswirkungen auf die derzeitige Praxis haben. Sie fordert, dass «Asyl in allen Fällen nur nach einer genauen Prüfung des Falles und in Kenntnis der Sachlage gewährt werden kann», was bereits der Fall ist, da die Flüchtlingseigenschaft nur nach einer individuellen Prüfung des Gesuchs durch das SEM gewährt wird. Darüber hinaus fordert sie, dass Ehemänner, die ihre Ehefrauen im Rahmen der Familienzusammenführung nachholen, «einer Sicherheitsprüfung unterzogen werden». An dieser Stelle sei daran erinnert, dass sich das Recht auf Familienzusammenführung aus international verankerten Verpflichtungen ergibt. Im Schweizer Recht sind die Bedingungen für den Nachzug restriktiv und die Sicherheitsprüfungen werden für alle betroffenen Personen bereits vom SEM durchgeführt.
Besonders problematisch ist Buchstabe b. der Motion, der verlangt, dass die Verfolgungsgründe nach den Kriterien des Drittlandes beurteilt werden, in dem sich die afghanischen Personen zuletzt aufgehalten haben sollen. Diese Forderung verstösst gegen internationales Recht, da auf der Grundlage der Flüchtlingskonvention die Fluchtgründe nach dem Herkunftsstaat beurteilt werden müssen. Die Situation in dem Drittstaat, in dem sich die Personen - wenn überhaupt - aufgehalten haben, wird von der Behörde ohnehin im Rahmen der Prüfung des Asylantrags und des Grundsatzes der Nichtzurückweisung untersucht.
Letztendlich verpflichten sowohl die Genfer Flüchtlingskonvention als auch die Schweizer Verfassung und das Schweizer Gesetz unsere Behörden, jeder Person Asyl zu gewähren, die in ihrem Land verfolgt wird. Diese Praxis zu revidieren oder zu verschärfen, wie es die beiden Motionen wollen, würde bedeuten, die Grundprinzipien des schweizerischen und internationalen Asylrechts anzugreifen.