Verzögert, verwässert, verhindert: bleibt Armut ein Verbrechen?

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Eine weitere Initiative steht vor dem Aus.

Von der parlamentarischen Initiative Angelo Barrile «Beseitigung und Verhinderung der Inländerinnen- und Inländerdiskriminierung beim Familiennachzug»


In der Frühjahrssession 2025 ist der Nationalrat als Zweitrat nicht auf die Parlamentarische Initiative «Beseitigung und Verhinderung der Inländerinnen- und Inländerdiskriminierung beim Familiennachzug» eingetreten. Das Hin- und Herschieben des Geschäfts dauerte fast sechs (!) Jahre. Geendet hat es damit, dass Schweizer:innen, die mit einem Familienmitglied ohne Schweizer Pass hier zusammenleben möchten, weiterhin weniger Nachzugsrechte als Personen mit EU-Pass haben. Schon vor mehr als zehn Jahren hatte das Bundesgericht das Parlament aufgefordert, diese stossende Diskriminierung zu beenden. Dessen ungeachtet soll daran nichts geändert werden.


… zur parlamentarischen Initiative Samira Marti «Armut ist kein Verbrechen» 


Dieses Muster – auf die lange Bank schieben und am Schluss sang- und klanglos beerdigen – scheint gerade einmal mehr Schule zu machen: Die bürgerliche Mehrheit der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats (SPK-N) will die Parlamentarische Initiative von Samira Marti  (ebenfalls SP) «Armut ist kein Verbrechen» abschreiben. Sie hat am 4. September 2025 beschlossen, dem Rat diesen Antrag zu stellen. Dabei geht es um ein Anliegen, das von einer breiten Allianz von Hilfswerken – Caritas, HEKS und Schweizerische Flüchtlingshilfe sind nur ein paar – getragen wird und schon viel zu reden gab und vor fünf Jahren ins Parlament getragen wurde: Ausländer:innen, die unverschuldet in Armut abgeglitten sind und Sozialhilfe beziehen müssen, sollen nach zehn Jahren ordnungsgemässem Aufenthalt vor der Wegweisung geschützt sein. 


Die bürgerliche Mehrheit in der SPK-N sieht heute keinen Handlungsbedarf mehr, nachdem sie auf die Initiative eingetreten war, sie jahrelang zwischen beiden Räten hin- und hergeschoben und verwässert hatte, Gutachten über Sozialhilfefälle unter Ausländer:innen erstatten und eine Vernehmlassung durchführen liess. Letztere hat – neben zahlreichen befürwortenden Stellungnahmen – ergeben, dass eine Mehrheit von 15 Kantonen (und der Gewerbeverband) die Gesetzesänderung ablehnten. Dass die Kantone gegen diesen Vorschlag Front machen, erstaunt nicht: Sie wollen ihren Fremdenpolizeien freie Hand lassen und ihre Sozialbudgets schonen. 


Menschenrechtlich bedenklicher Leerlauf – ein anderer Entscheid wäre möglich


Die bürgerliche Mehrheit in beiden Räten boxt seit Jahren stets das Migrationsrecht verschärfende Gesetzesprojekte durch und verhindert alle zaghaften Versuche, daran etwas zu ändern, mit unlauteren Mitteln: Mit Expertenberichten und Vernehmlassungen Gleichbehandlung und Innovationen verzögern, Kritik aussitzen und dann hinterrücks das Geschäft abschreiben. Eine solch verlogene Politik ist zum Fremdschämen. Alternativen liegen auf der Hand. Der Nationalrat kann in der aktuellen Session mindestens festhalten, dass Armut kein Verbrechen darstellt.