"Die Anhörung" hat den Prix de Soleure der Solothurner Filmtage gewonnen. Der Film gibt einen Einblick in die Asylanhörungen des Staatssekretariats für Migration (SEM). Bei diesen Anhörungen beurteilen die Mitarbeiter :innen des SEM die Flüchtlingseigenschaft von Personen, die in der Schweiz um Schutz ersuchen. Das Besondere an diesem Film ist, dass vier Asylsuchende und Mitarbeitende des SEM bereit waren, die Anhörungen nachzuspielen. Für die Asylsuchenden ist es ihre eigene Anhörung, die nachgespielt wird. Bei diesen Anhörungen steht viel auf dem Spiel, aber sie sind nicht für alle Beteiligten gleich wichtig. Wie Smiley sagt: "Für sie ist es ein Job, für uns ist es das Leben".
Smiley, wie kam es dazu, dass Sie für diesen Film vor der Kamera standen? Und wie ihre Erfahrung damit?
Meine Anwältin beim Hilfswerk HEKS, die von der Regisseurin kontaktiert worden war, machte mir das Angebot. Ich hatte keine Bedenken, denn es ist eine Verantwortung, die ich mir selbst gegenüber habe, meine Geschichte zu erzählen. Das Vorsprechen noch einmal zu spielen, war schrecklich, es hat mich in diese Zeit zurückversetzt: Mir ging es sehr schlecht, ich kämpfte mit einer Alkoholsucht. Um die Erfahrung des Films zu ertragen, habe ich erneut Alkohol als Strategie eingesetzt.
Beim Betrachten des Films ist es paradox, dass die Personen, die die Anhörungen durchführen, eine Expert :innenenrolle einnehmen. Es sind ihre Fragen und die Art und Weise, wie sie die Antworten beurteilen, die darüber entscheiden, wer das Recht auf einen Flüchtlingsstatus hat und wer nicht. Dennoch gibt es tote Winkel in ihrer Wahrnehmung der Situationen. Was sind Ihrer Meinung nach die toten Winkel in Bezug auf Ihre persönliche Situation?
Es gibt kulturelle Aspekte, die die SEM-Prüfer :innen nicht wahrnehmen. Beispielsweise ist die Erfahrung einer trans Person in Indien, Afghanistan oder der Schweiz sehr unterschiedlich. In Indien kann sich eine trans Person nicht an die Polizei wenden, wenn sie verfolgt wird, da sie Gefahr laufen würde, getötet, vergewaltigt, oder missbraucht zu werden. In seiner negativen Antwort auf mein Asylgesuch argumentierte das SEM, da ich in Indien ein wenig bekannt sei, bedeute dies, dass ich meinen Lebensunterhalt verdienen könne. Für trans Menschen in Indien sind die einzige Berufe, die sie ausüben können, Betteln und Sexarbeit. Ein weiteres Beispiel: Bei meinem Vorsprechen hat die Übersetzerin, als sie merkte, dass ich eine trans Person bin, den Raum verlassen und gesagt, dass sie nicht übersetzen könne. Dies geschah übrigens auch während der Dreharbeiten. Das Vorsprechen war eher ein Verhör als ein Interview. Ich stand da und sagte: «Versuchen Sie nicht, mich davon zu überzeugen, dass mein Kampf nicht fair ist. Ein Flüchtling zu sein ist nicht mein Lebensentwurf, ich versuchte zu überleben, ich versuchte zu fliehen. Ich habe meinen Namen gewählt: Living. Das ist doch der Beweis dafür, dass das, was ich wirklich will, leben ist, oder?»
Im zweiten Teil des Films werden die Rollen vertauscht. Die Zuhörer :innen werden angehört, und die Asylbewerber :innen stellen die Fragen. Als Sie die Zuhörerin fragen, wie es sich anfühlt, die Macht zu haben, über das Schicksal einer anderen Person zu entscheiden, entscheidet sie sich, nicht zu antworten. An diesem Punkt im Film spürt man eine Umkehrung der Machtverhältnisse, Sie sind es, die sie für einen Moment hat. Wie hat sich das für Sie angefühlt?
Ich habe mich nach dieser Frage dafür entschieden, die Übung abzubrechen. Ich konnte es nicht ertragen, dass diese Person sich unwohl fühlte, und ich konnte es nicht ertragen, diese Macht zu haben. Also brach ich ab. Ich bin nicht auf Rache aus, das ist nichts für mich. Ich bin nicht sauer auf die Leute vom SEM, es ist ihre Aufgabe, zu versuchen, neutral zu sein. Es ist nicht persönlich.
Wie sollte Ihrer Meinung nach der Asylprozess ablaufen, damit die Menschen dieser Gewalt nicht ausgesetzt sind?
Für mich ist klar, dass Fragen gestellt werden müssen, um die Asylgründe zu bestimmen. Aber wie meine Situation als trans Person zeigt, braucht es mehr Fachwissen innerhalb des SEM. Vor meiner Anhörung wurde ich gefragt, ob ich möchte, dass die Auditorin, die Übersetzerin, die Person, die das Protokoll schreibt, und die Vertreterin der Hilfswerke Frauen oder Männer sind. Man hätte mich fragen müssen, ob ich möchte, dass sie trans sind. Es braucht Personen, die die kulturellen und politischen Hintergründe der Menschen, die Asyl beantragen, wirklich verstehen können. Für trans Personen braucht man trans Personen. Und in den Asylzentren ist es das Gleiche. Es muss mindestens eine queere Person unter den Mitarbeitenden in jeder Unterkunft sein.
Living Smile Vidya hat uns auch ihre Lebensgeschichte, ihre Träume und Pläne anvertraut. Ihr Porträt können Sie in der März-Ausgabe unseres Bulletins lesen. Und natürlich können Sie sich den Film in den Kinos ansehen, die Premierendaten finden Sie in unserer Agenda. Die Veröffentlichung des Films in der Romandie ist für diesen Frühling geplant. Die Premiere ist am 27. März.