Rückkehr eines Klassikers: Der «kriminelle Asylbewerber»

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In der Frühjahrssession wird das Parlament über zwei SVP-Motionen abstimmen, die wieder einmal auf die Figur des «kriminellen Asylbewerbers» abzielen. Die erste Motion (24.3716 und 24.4429) will Personen im Asylverfahren, vorläufig Aufgenommene und Flüchtlinge, die wegen eines Verbrechens im Sinne des Strafgesetzbuches oder des Betäubungsmittelgesetzes verurteilt wurden, vom Asylverfahren ausschliessen oder ihre Aufenthaltsbewilligung aufheben. Die zweite Motion (24.3734 und 24.4495) verlangt, die Bewegungsfreiheit von «kriminellen» Asylsuchenden schon ab der Eröffnung eines Strafverfahrens einzuschränken, sei es «durch Eingrenzung und Unterbringung in besonderen Zentren oder durch dauernde Überwachung mit geeigneten Mitteln». Diese Vorstösse greifen ernsthaft in die Grundrechte der Menschen ein, und die vorgeschlagenen Lösungen sind unnötig und diskriminierend.

 

Während sich die beiden Motionen mit verblüffender Leichtigkeit auf die statistische Meldung stützen, dass mehr als 56% der Straftäter in der Schweiz Ausländer sind, muss man bei der Analyse weiter ausholen. Zunächst einmal haben zahlreiche akademische Studien gezeigt, dass diese Überrepräsentation vor allem auf verschiedene Formen der polizeilichen und gerichtlichen Diskriminierung (Racial Profiling, höhere Strafen für ausländische Staatsangehörige, etc.) sowie auf die zunehmende Kriminalisierung der irregulären Migration zurückzuführen ist. So sieht das Ausländerrecht seit 2005 bei irregulärer Einreise oder «illegalem Aufenthalt» Strafen von bis zu einem Jahr Gefängnis vor (Art. 115 AIG). Die Statistiken zeigen im Übrigen, dass die Zahl der Verurteilungen wegen Verstössen gegen das AIG in den letzten Jahren erheblich gestiegen ist. [1]

 

Vor allem aber zeigen diese Studien, dass die statistische Überrepräsentation von Ausländern in der Kriminalitätsstatistik in Wirklichkeit nicht auf ihre Nationalität oder ihren Status zurückzuführen ist, sondern auf andere Faktoren. Die wichtigsten sind Geschlecht, Alter, sozioökonomischer Hintergrund und Bildungsniveau. Mit anderen Worten: Arme und schlecht ausgebildete junge Männer neigen eher dazu, Straftaten zu begehen, als andere Bevölkerungsgruppen, und zwar unabhängig von ihrer Nationalität. Da Ausländer und Asylsuchende in dieser Kategorie überrepräsentiert sind, sind sie auch bei der Kriminalität überrepräsentiert. Kurz gesagt: Eine Lesart der Statistik, die besagt, dass Ausländer:innen eher zu Straftaten neigen als Inländer:innen, ist falsch, und jede Massnahme, die auf den Status oder die Nationalität abzielt, ist sowohl unnötig als auch diskriminierend.[2]

 

Eine Bedrohung für die Grundrechte

Die Motionen stützen sich zwar auf falsche Statistiken, schlagen aber auch Lösungen vor, die ebenso falsch sind. Sie sind unnötig, da die gesetzlichen Grundlagen für den Entzug des Status und die Einschränkung der Bewegungsfreiheit bereits vorhanden sind. 

 

Nach Art. 53 AsylG wird Flüchtlingen das Asyl verweigert, wenn sie wegen strafbarer Handlungen asylunwürdig sind, die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz verletzt oder gefährdet haben oder wenn ihnen eine Ausweisung droht. Ähnliche Einschränkungen sind vorgesehen, wenn es um den Widerruf oder das Erlöschen des Asyls oder um die Gewährung oder Aufhebung der vorläufigen Aufnahme geht. Es sei darauf hingewiesen, dass diese Möglichkeiten jedoch ihre Grenzen im Verbot der Zurückweisung finden, das im internationalen und europäischen Recht vorgesehen ist (Art. 33 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention).

 

Was die Bewegungsfreiheit angeht, so sei daran erinnert, dass es sich hierbei um ein Grundrecht handelt, das durch Art. 10 Abs. 2 der Bundesverfassung garantiert wird. Und auch hier erlauben mehrere kantonale Rechtsgrundlagen bereits, sie zu behindern, da die Kantone für die Strafverfolgung und den Strafvollzug zuständig sind. Mit anderen Worten: Ein:e Asylsuchende:r, der/die ein Verbrechen begangen hat, unterliegt denselben Strafgesetzen wie jede Einwohner:in des Landes. Es gibt keinen Grund, warum für Ausländer:innen besondere Gesetze gelten sollten, zumal sie bereits mit diskriminierenden Straf- und Gerichtspraktiken konfrontiert sind (wie z. B. dem oben erwähnten Racial Profiling)

 

Vorstösse, die dringend abzulehnen sind

Weil sie schwere Verstösse gegen das Völker- und Verfassungsrecht darstellen, vor allem aber, weil sie das Ziel verfehlen, empfehlen wir dem National- und dem Ständerat ohne zu zögern, diese Motionen abzulehnen.

 

Wenn die Schweiz die Kriminalität in ihrem Land senken möchte, kann sie dies sicherlich nicht erreichen, indem sie Gruppen von Menschen aufgrund ihres Status oder ihrer Nationalität angreift und die Grundrechte aller Menschen untergräbt. Umgekehrt empfehlen wir ihr, sich mit den Wahlkampfsujets der Volkspartei zu befassen, die aufgrund ihres diskriminierenden, fremdenfeindlichen und rassistischen Charakters bereits zu heftigen Reaktionen seitens der Justiz und der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus geführt haben.

 

[1] https://journals.openedition.org/champpenal/15692#tocfrom2n3. Siehe auch https://odae-romand.ch/wp/wp-content/uploads/2024/03/Panorama-web_05.12.2023-1.pdf.

[2] https://asile.ch/prejuge/criminalite/1-le-point-de-vue-dun-criminologue/#v.-conclusion.