Sosf hat am 27. Mai 2024 ausführlich über die Parlamentarische Initiative 19.464 berichtet, welche die Ungleichbehandlung von Schweizer:innen beim Familiennachzug gegenüber EU-Bürger:innen beseitigen will. Wir sprechen dabei von vorehelich geborenen Kindern und von betagten Eltern, die Pflege benötigen und nicht nachgezogen werden können. Schweizer:innen bleibt dies aus Gründen, die vermeintlich mit der Zuwanderung zu tun haben, verwehrt, während es in der Schweiz lebenden Menschen mit einem EU-Pass erlaubt ist.
Nun hat der Nationalrat am 10. Juni 2024 darüber debattiert. Zu Beginn war umstritten, ob der Rat den Vorstoss überhaupt behandeln solle. Vertreter:innen der SVP erklärten, der Verfassungsartikel gegen die Masseneinwanderung (Art. 121a der Bundesverfassung) werde verletzt, die Gleichstellung der Schweizer:innen führe zu einer massenhaften Einwanderung in die Sozialsysteme und die Migrationsämter würden überlastet. Dabei verwickelten sie sich in unlösbare Widersprüche, monierten sie doch, niemand wisse genau, zu wie vielen Familiennachzügen es komme, während sie gleichzeitig behaupteten, es seien jährlich Tausende. Diese Argumente wiederholte auch der Fraktionschef der Mitte und fügte hinzu, man müsse den Familiennachzug einschränken, wo es noch eine Steuerungsmöglichkeit gebe (gemäss Art. 121a BV kann der Staat das Recht auf Familiennachzug einschränken, muss dies aber nicht). Und es habe zwischen 2011 und 2021 über 400‘000 Einbürgerungen gegeben, wovon viele aus Sri Lanka, der Türkei oder aus Ex-Jugoslawien stammten. Diese würden nun zu Tausenden ihre – kaum integrierten - Nachkommen oder ihre betagten und pflegebedürftigen Eltern in die Schweiz bringen, was dem Ziel einer frühzeitigen Integration widerspreche. Dies wiege eine Ungleichbehandlung der Schweizer:innen auf.
Es erstaunt, dass die Mitte mit solch unappetitlichen Argumenten aus Menschen bürokratische Faktoren macht. Alle diese Argumente wurden von den Vertreter:innen der SP, der Grünen und der Grünliberalen widerlegt: Die Verfassung sehe Gleichbehandlung für alle vor, man könne von wenigen zusätzlichen Gesuchen ausgehen. Dem folgten auch die Freisinnigen. Schliesslich entschied der Rat mit 98 zu 93 Stimmen, auf die Vorlage einzutreten.
Die Detailberatung drehte sich vor allem um zusätzliche Einschränkungen der Familiennachzugsrechte. In der Schlussabstimmung hat der Rat den Vorentwurf seiner Staatspolitischen Kommission angenommen.[1] Auf der Strecke blieben die Minderheitsanträge der Grünen und der SP, die Schweizer:innen mit EU-Bürger:innen vollständig gleichstellen wollten. Da im Gesetzesentwurf noch Differenzen mit dem Ständerat bestehen, geht das Geschäft an diesen zurück.
Fazit
Unter dem Strich hat der Nationalrat die Ungleichbehandlung der Schweizer:innen beim Familiennachzug zum grössten Teil, wenn auch nicht vollständig, beseitigt, was wir eindeutig begrüssen. Erstaunlich ist, dass sich die Mitte gängige Argumente der SVP zu eigen macht. Ob sie sich damit als neue Migrationskontrolleurin stark machen will oder sich – mit Blick auf die noch offene Debatte im Ständerat - bloss aus taktischen Gründen so verhielt, bleibt ihr Geheimnis. Wie bleiben weiter am Ball und werden den Ausgang des Gesetzgebungsprozesses weiterhin beobachten.
[1] Die bestehende Ungleichbehandlung beim Nachzug von ausländischen Familienangehörigen wird beseitigt: in absteigender Linie zwischen 18 und 21 Jahren oder älter, wenn ihnen nachweislich und andauernd Unterhalt gewährt wird, sowie von ausländischen Familienangehörigen in aufsteigender Linie, denen – ebenfalls nachweislich und andauernd - Unterhalt gewährt wird. Die Verbesserungen betreffen folgende Punkte: 1. Diese Familienangehörigen müssen vorgängig nicht mehr im Besitz einer dauerhaften Aufenthaltsbewilligung eines EU/EFTA-Mitgliedstaates sein. 2. Diese Familienangehörigen müssen nicht mehr im gemeinsamen Haushalt leben. Dafür muss der Familie eine angemessene Wohnung zur Verfügung stehen. 3. Die bestehenden Fristen für die Einreichung des Gesuchs um Familiennachzug werden aufgehoben. Zusätzlich wird der Abschlusses einer Integrationsvereinbarung bei Integrationsdefiziten der Familienangehörigen möglich. Bei Angehörigen der EU/EFTA-Mitgliedstaaten können demgegenüber nur Integrationsempfehlungen abgegeben werden.