In der Schweiz leben abgewiesene Asylsuchende unter dem Nothilferegime, das laut Artikel 12 der Bundesverfassung «die Mittel, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind», gewährleisten soll. Das Nothilferegime entstand nach der Abschaffung der Sozialhilfe für abgewiesene Asylsuchende, die im Jahr 2005 unter Christoph Blocher beschlossen wurde. Obwohl ein schwerwiegendes Thema, hat es die Parlamentarier:innen oder die grossen Organisationen des Asylrechts kaum beschäftigt.
Nun hat die Eidgenössische Migrationskommission EKM im Oktober dieses Jahres einen Bericht und ein Rechtsgutachten veröffentlicht. Beide Dokumente zeigen, dass Kinder in der Nothilfe im Vergleich zu anderen Kindern diskriminiert werden und dass die erlittene Behandlung zu Meldungen an die Kinderschutzbehörde führen sollte. Auch wird auf die Unvereinbarkeit mit der Kinderrechtskonvention und die sehr eingeschränkte Auslegung von Art. 12 BV hingewiesen.
Die Kantone wurden einzeln zu ihrer Anwendung der Nothilfe befragt, die Ergebnisse wurden jedoch zusammengefasst, so dass der Bericht keine detaillierten Einblicke in die verschiedenen kantonalen Situationen bietet. Man kann jedoch erahnen, wie es im Kanton Zürich aussieht, da Mario Fehr, Leiter des kantonalen Sicherheitsdepartements, sich weigerte, sich dieser «Alibiübung» zu unterziehen.
Der Ball liegt nun im Feld der solidarischen kantonalen Organisationen. Die von der EKM geschlagene Bresche muss erweitert werden. Die Kantonsregierungen müssen zur Rechenschaft gezogen und klare Forderungen aufgestellt werden. Die unwürdigen Lebensbedingungen in der Nothilfe müssen in der öffentlichen Debatte mehr Raum einnehmen, und zwar nicht nur, weil sie Kinder betreffen. Sondern weil es an sich schon unwürdig ist, die Existenz eines solchen Regimes zu akzeptieren.
Dieser Artikel erschien zuerst im Sosf-Bulletin Nr. 4, 2024.