Gleiche Rechte für alle die hier sind und alle, die noch kommen werden

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Zeichnung des Meers

Die Debatten der Schweizer Politik in den letzten Tagen heben deutlich hervor, was sich die letzten dreissig Jahre in diesem Land abgespielt hat: auf nationalstaatlicher Ebene ist eine migrationspolitische Transformation komplett blockiert – sogar im Gegenteil – Asyl-, Migration-, sowie Bürgerrechtsgesetzgebung werden laufend verschärft. Obwohl die Schweiz längst ein neues Gesicht hat, die postmigrantische Vielheit und transnationale Verbindungen unwiderrufliche gesellschaftliche Realitäten gezeichnet haben, ziehen sich immer neue Grenzen quer durch unseren Lebensalltag. 

 

Migrant:innen und ihre Nachkommen, Sans-Papiers, Asylsuchende, Second@s oder People of Color sind bei der Mitgestaltung des öffentlichen Raumes eingeschränkt – oder gar davon ausgeschlossen. Ein Viertel der Schweiz hat keine Wahl- und Stimmrechte. Geflüchtete erfahren Isolation in Durchgangszentren. Sans-Papiers haben Angst vor Ausschaffung, ihre Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt. Zahlreiche Hürden bei der rechtlichen, politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Teilhabe sind die Folge. 

 

Doch was wir heute auch sehen: Immer mehr Menschen wollen eine Veränderung. «Zwischen uns keine Grenzen» bedeutet: Gleiche Rechte für alle!

 

Grenzen stehen im Zentrum der Gegensätze unserer Zeit, denn in vielen europäischen Städten erleben wir täglich die Krise des Prinzips nationaler Zugehörigkeit. Städte verstehen sich global und kosmopolitisch, stellen sich dem internationalen Konkurrenzkampf und buhlen als Steueroasen um multinationale Unternehmen sowie um eine hochqualifizierte globale Elite. Die neoliberale Globalisierung hat die Landesgrenzen für Güter durchlässiger und für Menschen hochselektiv gemacht. Fürs Kapital wiederum gelten die Regeln des internationalen Marktes – das aktuelle Grenzregime ist schlussendlich Ausdruck des wandelnden Verhältnisses von Staat und Kapital. Damit repräsentieren Grenzen die symbolischen Kontrollpunkte auf der Geografie von Macht und Wohlstand, wobei Migrant:innen im Namen des nationalen Wohlstands zu einer regulierbaren Masse an Arbeitskräften abstrahiert werden. Der Migrationsdiskurs schafft damit die materielle Basis für gesellschaftlichen Ausschluss und Ausbeutung im Arbeitsmarkt. Die symbolischen Grenzen ziehen sich also von physischen Grenzzäunen der Festung Europa bis in unsere Köpfe und bestimmen, wie wir die Welt sehen. 

 

Doch lassen wir uns nicht täuschen, immer wenn globale Veränderungen den politischen und ökonomischen Status quo herausfordern, imaginiert und reguliert die Schweiz ihre guten und schlechten Migrant:innen. «Zwischen uns keine Grenzen» heisst Migration und Vielfalt als gesellschaftliche Tatsache anzuerkennen. Um als Gesellschaft tatsächlich Verantwortung für globales Unrecht, Ungleichheit und Wohlstandsgefälle zu übernehmen, müssten sich das öffentliche Bewusstsein und die politischen Institutionen der Schweiz für die globalen Verflechtungen und die soziale Vielheit der Schweiz öffnen, statt die Idee des Sonderfalls Schweiz weiter zu pflegen.

 

Die Welt wird immer vernetzter und gleichzeitig scheint sich der Wunsch nach Zugehörigkeit nur durch Abgrenzung zu erfüllen. Citizenship und Arbeitsmarkt werden allerdings nur mit grosser Anstrengung ans nationale Territorium gebunden, wobei die resultierenden gesellschaftlichen Reibungen neue Räume schaffen. Migrant:innen sind per Wortdefinition auch in den Zwischenräumen zuhause und Mehrfachzugehörigkeit prägen die Lebensrealitäten der meisten Menschen in der Schweiz. Solche Realitäten anzuerkennen, würde zum Beispiel erlauben, diasporische Netzwerke als Möglichkeit transnationaler Solidaritätsmodelle zu verstehen. Gerade das Erfahrungswissen in postmigrantischen Gesellschaften bietet Zugang zu Lebensweisen, die ein anderes Verständnis von einem guten und nachhaltigen Leben zur Grundlage haben. Wir brauchen also die Geschichten und Erzählungen, in welchen die Erfahrungen aller Menschen vorkommen.

 

«Zwischen uns keine Grenzen» lädt zu einer anderen Perspektive auf die Auseinandersetzung um die Gestaltung unserer Gesellschaft ein. Eine demokratische Migrationsgesellschaft ist vorstellbar! Und gerade die Demokratieinitiative wäre aktuell die Gelegenheit, zumindest die Bürger:innenrechte ausweiten zu können. Wichtig ist nun – wie heute – eine starke Verbindung von verschiedenen, alltagsnahen, sozialen Kämpfen, in denen es um gleiche Rechte für alle geht – für alle die hier sind, und alle die noch kommen werden.

 

Halua Pinto ist Co-Präsident von INES – Institut Neue Schweiz.