EU-Asylpolitik: Europa schafft sich ab

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Lager in Italien - Foto Ursula Markus

Die kürzlich beschlossene Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) schafft das individuelle Recht auf Asyl de facto ab. Höchste Zeit, aktiv zu werden!

 

Im Dezember 2023 einigten sich die EU-Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament auf eine Reform, die den Zugang zum Recht auf Asyl massiv einschränken wird. Mit der GEAS-Reform führt die EU verkürzte Asylverfahren in Haft-Lagern an den EU-Aussengrenzen ein, selektiert vermehrt nach Nationalität und Reiseweg anstatt nach individuellen Fluchtgründen und vereinfacht Ausschaffungen in unsichere Drittstaaten. Anstatt endlich eine solidarische Verteilung der Asylsuchenden in Europa zu erreichen, zementiert die Reform zudem die menschenverachtenden Dublin-Regeln und verschärft sie noch.

 

Die GEAS-Reform ist eine späte Antwort auf den Zusammenbruch des europäischen Grenzregimes im «langen Sommer der Migration» 2015. Sie wurde 2016 von der EU-Kommission angestossen und 2020 als «Neuer Pakt für Asyl und Migration» in den Gesetzgebungsprozess eingebracht (siehe die Sosf-Bulletins Nr. 3 und 4/2020). In der nun verabschiedeten Form ist das GEAS vom Irrglauben geprägt, dass sich Flucht und Migration durch noch mehr Entrechtung und Gewalt tatsächlich aufhalten lassen. Gleichzeitig stirbt mit der Reform die Hoffnung auf eine gemeinsame und solidarische europäische Asylpolitik.

 

Verkürzte Grenzverfahren als neue Norm
Asylsuchende aus Ländern mit einer Anerkennungsquote von unter 20% durchlaufen in Zukunft nur noch stark verkürzte Grenzverfahren – inhaftiert in Lagern wie dem in Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Ruft ein EU-Mitgliedstaat eine «Migrationskrise» aus, kann er sogar alle Geflüchteten in den neuen Grenzverfahren abfertigen. Ob dabei überhaupt auf ihre Asylgesuche eingetreten wird, hängt von ihren Fluchtrouten ab. Haben Geflüchtete Länder wie die Türkei, Serbien oder Tunesien durchquert, die die EU zu sicheren Drittstaaten erklären wird, werden ihre Gesuche gar nicht erst zugelassen.

 

Sollten sie es trotzdem in weiter nördlich gelegene Länder schaffen, sind sie dort mit verschärften Dublin-Regeln konfrontiert. Die sechsmonatige Überstellungsfrist, nach deren Verstreichen bisher (zum Beispiel auch in der Schweiz) ein Selbsteintritt fällig wurde und die mancherorts in Kirchenasylen überbrückt wurde, kann auf ein Jahr verlängert werden. Bei Untertauchen oder «mangelnder Kooperation» (wohlgemerkt bei der eigenen Zwangsausschaffung) sogar auf drei Jahre.


Untätige Schweiz
Und was macht die Schweiz? Bisher schaut sie untätig zu und reibt sich die Hände. Nicht ohne Grund schrieb die NZZ bereits im Juni 2023: «Die Schweiz wird von der Reform des EU-Asyl- und Migrationssystems profitieren. Für sie ist es ein Vorteil, wenn sich die EU an den Aussengrenzen stärker abschottet. Dennoch sind damit für sie kaum Verpflichtungen verbunden». Denn da die neuen Grenzverfahren nicht zum Schengen-/Dublin-Besitzstand gehören, wird sich die Schweiz daran nicht die Hände schmutzig machen. Gleichzeitig kann sie Geflüchtete aufgrund der verschärften Dublin-Regeln weiterhin quer durch Europa verschieben.

 

Solidarité sans frontières verlangt, dass sich die Schweiz auf EU-Ebene klar gegen die Grenzverfahren und gegen eine Ausweitung der Drittstaatenregelung ausspricht und Geflüchtete im Gegenzug freiwillig aufnimmt. Sollte dies nicht geschehen, muss die Möglichkeit eines Referendums gegen die Übernahme der für die Schweiz relevanten Teile der GEAS-Reform ernsthaft in Erwägung gezogen werden.

 

Info

Sosf wird sich im Bulletin Nr. 2/2024 ausführlich mit der GEAS-Reform auseinandersetzen. Für Sommer 2024 ist zudem eine Infotour in verschiedenen Schweizer Städten geplant.

 

Dieser Text erschien zuerst im Sosf-Bulletin Nr. 1/2024.

 

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