Während der ausserordentlichen Asyl-Session am 24. September 2024 hat sich der Nationalrat mit 105 gegen 74 Stimmen und 9 Enthaltungen für ein Verbot des Familiennachzugs für vorläufig aufgenommene Personen (Motion 24.3057) ausgesprochen. Der Ständerat wird am 18. Dezember darüber entscheiden, nachdem seine Staatspolitische Kommission befand, dass diese Motion zu weit geht und eine unverhältnismässige Verletzung des Grundrechts auf Achtung des Familienlebens darstellt. Die Kommission betonte, dass die Bedingungen für den Familiennachzug bereits äusserst restriktiv sind.
Der Ausgang der Abstimmung im Ständerat ist ungewiss. Viel wird von den Stimmen der Mitte abhängen, die im Nationalrat für die Annahme der Motion ausschlaggebend waren. Doch warum fand dieser Vorschlag, der das Grundrecht auf Familienleben frontal angreift, bei der Mitte Partei so viel Unterstützung? Eine Erklärung sind die zahlreichen falschen oder irreführenden Informationen über vorläufig aufgenommene Personen.
Vorurteile prägen die Debatte
In der Debatte des Nationalrats erklärte Thomas Knutti (SVP): «Es gibt zu viele, und es sind nicht die richtigen.» Doch wer sind diese Personen wirklich, und wie viele gibt es? Der Status der «vorläufigen Aufnahme» (Ausweis F) wird oft missverstanden und ist Gegenstand zahlreicher Fehlinformationen. In Wahrheit erhalten diesen Status Personen, deren Asylgesuch vom Staatssekretariat für Migration (SEM) formell abgelehnt wurde, für die jedoch eine Rückkehr in ihr Herkunftsland unmöglich, unzulässig oder unzumutbar ist, etwa aufgrund eines bewaffneten Konflikts. Diese Personen werden rechtlich zwar nicht als Flüchtlinge anerkannt, haben aber ähnliche Schutzbedürfnisse wie Flüchtlinge mit Asyl. Der irreführend als «vorläufig» bezeichnete Status ist in Wirklichkeit dauerhaft: Er erlaubt den Betroffenen, so lange in der Schweiz zu bleiben, wie die Gründe, die eine Rückkehr verhindern, bestehen.
Strenge Hürden für den Familiennachzug
Derzeit leben etwa 45'000 Personen mit einem F-Ausweis in der Schweiz. Nur etwa hundert von ihnen schaffen es jedes Jahr, die strengen Bedingungen für den Familiennachzug zu erfüllen. Diese Bedingungen umfassen eine Wartefrist, eine eingeschränkte Definition der Familie, die nur Ehepartner und minderjährige Kinder einschliesst, eine vollständige finanzielle Unabhängigkeit für die gesamte Familie, ausreichende Sprachkenntnisse sowie eine angemessene Wohnsituation. Zudem setzen die gesetzlich vorgeschriebenen Maximal-Fristen eine strikte zeitliche Limite, um diese Anforderungen zu erfüllen. Für Personen mit Schwierigkeiten bei der beruflichen Integration stellen diese Kriterien fast unüberwindbare Hürden dar.
Das Recht auf Achtung des Familienlebens ist durch Artikel 13 Absatz 1 der Bundesverfassung und Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geschützt. Bereits heute garantiert das ohnehin restriktive Gesetz dieses Recht für vorläufig aufgenommene Personen nur knapp.
Der Versuch, diesen Menschen die Möglichkeit zu nehmen, in der Schweiz ein Familienleben aufzubauen, ignoriert eine menschliche Realität: die von Krieg und Exil zerrissenen Familien. Diese Menschen, die in unserem Land gut integriert sind und den Lebensunterhalt ihrer Familie ohne staatliche Unterstützung selbst bestreiten, haben Grundrechte, die der Schweizer Staat respektieren muss.
Die Annahme dieser Motion wäre nicht nur juristisch bedenklich und unverhältnismässig, sondern auch ethisch fragwürdig. Am 18. Dezember wird der Ständerat die Gelegenheit haben, die vom Nationalrat eingeschlagene Richtung zu korrigieren.