Übernahme und Umsetzung des EU-Migrations- und Asylpakts

Artikel
Stacheldrahtzaun und Wegweiser

Der Europäische Migrations- und Asylpakt stellt eine umfassende Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) dar. Die Schweiz muss bis Sommer 2026 einen Grossteil davon übernehmen. Konkret geht es um die Asyl- und Migrationsmanagement-Verordnung (AMMV), die Eurodac-Verordnung sowie weitere EU-Verordnungen in den Bereichen Rückkehr, Überprüfung und Krisenmanagement[1].

 

Ende März legte der Bundesrat seine Umsetzungsvorschläge vor, die nun im Parlament verhandelt werden. Nach dem Nationalrat ist in der Herbstsession der Ständerat an der Reihe. Voraussichtlich wird das Geschäft in derselben Session an den Nationalrat zurückgehen, um die Übernahme er Gesetzesänderungen abzuschliessen.

 

Für das Centre social protestant und andere Akteure der Zivilgesellschaft stellt der Pakt einen frontalen Angriff auf das Asylrecht und die Grundrechte von Geflüchteten dar.

 

GEAS-Reform : Worum geht es genau?

Das erklärte Ziel der Reform ist es, Asylverfahren zu beschleunigen, ein koordiniertes Krisenmanagement zu ermöglichen und eine solidarischere Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Schengen-/Dublin-Mitgliedstaaten zu erreichen. Konkret führt der Pakt beim Betreten des europäischen Hoheitsgebiets eine Triage für all diejenigen ein, die versucht haben, die Grenze irregulär zu überschreiten. Obligatorische Identitäts-, Sicherheits- und Gesundheitskontrollen bestimmen über das anzuwendende Verfahren und das Recht auf Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten. Auf dieser Grundlage wird ein Grossteil der Asylsuchenden als nicht in das EU-Gebiet eingereist betrachtet, für mehr als 24 Wochen in gefängnisähnlichen Lagern festgehalten und direkt an den Aussengrenzen einem beschleunigten Verfahren unterzogen. Hinzu kommt eine Ausweitung der Kriterien, aufgrund derer Drittstaat als «sicher» eingestuft werden können, und eine geplante Ausweitung von Rückübernahmeabkommen auf Drittstaaten, die für ihre Menschenrechtsverletzungen bekannt sind.

 

Für diejenigen, die diesen ersten Filter überwinden und zum Beispiel in die Schweiz gelangen, wird sich die rechtliche Situation erheblich verschärfen, insbesondere durch eine drastische Verschärfung der Dublin-Regeln sowie einen Ausbau der Datenbanken, die zur Überwachung und Kontrolle von Asylsuchenden verwendet werden. Hier ein Überblick:

 

Asyl- und Migrationsmanagement-Verordnung (EU) 2024/1351

Diese neue Verordnung konsolidiert das Dublin-System. Sie übernimmt weitgehend die aktuellen Kriterien, trotz der vielen menschlichen Dramen, die sie verursachen. Das Land der ersten Einreise bleibt somit für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig, aber es werden erhebliche Verschärfungen eingeführt, insbesondere hinsichtlich der Fristen, innerhalb derer ein Staat eine Überstellung an den zuständigen Staat vornehmen muss. So kann die Überstellungsfrist von sechs Monaten, nach deren Ablauf bisher ein Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig wurde, in «Krisenzeiten» auf ein Jahr verlängert werden. Und wenn die Person «die medizinischen Voraussetzungen für die Überstellung nicht erfüllt», «untertaucht» oder «sich der Überstellung physisch widersetzt», kann diese Frist auf drei Jahre verlängert werden (gegenüber derzeit 18 Monaten). Darüber hinaus können Minderjährige, die bisher von dieser Regelung ausgenommen waren, nun unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls in den nach den Dublin-Vorschriften zuständigen Staat zurückgeschickt werden.

 

Die Verordnung führt auch neue Sanktionsmechanismen ein (z. B. bei Sekundärmigration) und schränkt die Aufnahmebedingungen sowie die Sozialleistungen für Asylsuchende ein. Gleichzeitig erweitert sie die Möglichkeiten der Inhaftierung und lockert deren Bedingungen.

 

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Einführung eines neuen Solidaritätsmechanismus durch die AMMV, der für die Schweiz jedoch nicht verbindlich ist. Der Bundesrat hat daher vorgeschlagen, nur auf freiwilliger Basis zu prüfen, ob und in welcher Form sich die Schweiz daran beteiligt. Die Art der Beteiligung an der «Solidarität» bleibt nämlich optional: Staaten im Zentrum Europas können zwischen der Aufnahme einer bestimmten Anzahl von Personen auf ihrem Hoheitsgebiet und einer finanziellen oder logistischen Hilfe für die von hohen Zahlen betroffenen Ländern an den Aussengrenzen wählen.

 

Eurodac-Verordnung (EU) 2024/1358

Die Eurodac-Verordnung erweitert den Gegenstand und den Umfang der Erhebung biometrischer Daten: Künftig werden auch Gesichtsbilder, Reisedokumente und andere personenbezogene Daten gespeichert – auch von Kindern ab sechs Jahren. Die Datenbank wird neue Personengruppen (z. B. Sans-Papiers und Personen mit vorübergehendem Schutzstatus) erfassen und für Strafverfolgungsbehörden zugänglich sein.

 

Der Bundesbeschluss zur Übernahme und Umsetzung des EU-Migrations- und Asylpakts umfasst auch eine neue Überprüfungs- bzw. Screening-Verordnung (EU) 2024/1356, eine Verordnung über das Grenzrückführungsverfahren (EU) 2024/1349 – die für die Schweiz aufgrund ihrer geografischen Lage und ihrer spezifischen Asylstrukturen kaum relevant ist – sowie die Krisenverordnung (EU) 2024/1359, die bei ausserordentlichem Migrationsdruck oder anderen Gewaltsituationen zur Anwendung kommt.

 

Laufender Gesetzgebungsprozess

In der Sommersession 2025 wurde im Nationalrat lediglich die AMMV und mit ihr die freiwillige Schweizer Beteiligung am Solidaritätsmechanismus abgelehnt. Dabei schlossen sich die Freisinnigen der SVP an und stimmten dagegen oder enthielten sich der Stimme: Die FDP will keine zusätzlichen Asylsuchenden aufnehmen und zieht es vor, sich nur finanziell am Solidaritätsmechanismus zu beteiligen oder gar nicht.

 

Die drei anderen Projekte wurden angenommen. Die Grünen und die Sozialdemokrat:innen hatten jedoch verschiedene Änderungsanträge vorgeschlagent, die grösstenteils abgelehnt wurden. Darunter befand sich eine Liste verbindlicher Kriterien für Fälle, in denen die Schweiz die Souveränitätsklausel anwenden sollte – also die Möglichkeit, einen Asylantrag zu bearbeiten, auch wenn grundsätzlich ein anderer Staat zuständig wäre –, beispielsweise für unbegleitete minderjährige Asylsuchende, bei erheblicher Gefährdung oder wenn Angehörige bereits in der Schweiz leben. Zu erwähnen ist auch der Vorschlag, den europäischen Status des «subsidiären Schutzes» zu übernehmen, der bessere Bedingungen als die vorläufige Aufnahme bietet, insbesondere in Bezug auf Sozialleistungen, Freizügigkeit oder Familienzusammenführung.

 

Am 20. August hat die Staatspolitische Kommission des Ständerates ihrerseits die vier Reformpakete verabschiedet. Beim Solidaritätsmechanismus hat sie einen Kompromiss akzeptiert, wonach der Bund Solidaritätsmassnahmen, vor allem finanzieller Art, nur dann leisten kann, wenn das Dublin-System in Bezug auf die Schweiz insgesamt gut funktioniert.

 

Unsere Position

Das CSP hat die Reform, zusammen mit dem Bündnis unabhängiger Rechtsarbeit im Asylbereich, im Rahmen der Vernehmlassung scharf kritisiert. Dabei haben wir eine gravierende Aushöhlung der Verfahrensgarantien und einen Angriff auf die Grundrechte von Geflüchteten angeprangert. Das neue System wird die Ursachen der Sekundärmigration keineswegs bekämpfen, sondern die Fluchtwege für Menschen, die ohnehin fliehen werden, weil sie durch Verfolgung, Konflikte, ungleichen Zugang zu globalen Ressourcen und immer häufiger auftretende Katastrophen dazu gezwungen werden, noch unsicherer und kostspieliger machen.

 

Die beteiligten Organisationen fordern daher das Parlament auf, den Vorschlag des Bundesrats abzulehnen und ihn zu einer Überarbeitung seines Entwurfs aufzufordern, damit die Schweiz ihren Handlungsspielraum für eine Stärkung des Schutzes der Grundrechte nutzt.

 

Mindestens verlangen wir von den Parlamentarier:innen auf, die Vorschläge der Grünen und der SP im Nationalrat zu unterstützen und Schutzvorkehrungen einzuführen, damit die Rechte von Schutzsuchenden im Mittelpunkt stehen:

 

- Eine verbindliche und dauerhafte Beteiligung am Solidaritätsmechanismus ohne finanziellen Ausgleich und ausschliesslich mit Aufnahme von Schutzsuchenden.

- Die Schaffung eines Schutzstatus, der an den europäischen subsidiären Schutz angeglichen ist.

- Eine Verlängerung der Beschwerdefristen bei Dublin-Entscheiden 

- Eine Ausweitung und Harmonisierung des Familienbegriffs auch auf die Eltern unbegleiteter Minderjähriger 

- Die Anwendung der Dublin-Souveränitätsklausel, um mehr Solidarität und Grosszügigkeit zu zeigen, sowie verbindliche Kriterien für Fälle, in denen dies erforderlich ist

- Strengere Hürden für die Anordnung von Administrativhaft im Dublin-Verfahren, eine Verkürzung der maximalen Dauer der Administrativhaft sowie eine automatische gerichtliche Überprüfung nach 96 Stunden Haft im Rahmen des Dublin-Verfahrens.

 

 

[1] Die neuen Verordnungen können hier eingesehen werden: https://www.consilium.europa.eu/fr/press/press-releases/2024/05/14/the-council-adopts-the-eu-s-pact-on-migration-and-asylum/.