Die Schweiz als Vorreiterin für illegale Auslagerung?

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Zaune mit einem Polizist

UPDATE: Dieser Antrag wurde in der Wintersession abgelehnt. In der Frühjahrssession, die am 26. Februar 2024 startet, kehrt die FDP mit einer Motion in den Ständerat zurück, die quasi ein Copy/Paste der Motion von Damian Müller ist. Tatsächlich reichte Petra Gössi diesen Vorstoss auch schon zwei Tage nach der Ablehnung der Motion Müller ein. Alle Argumente unserer Analyse bleiben daher weiterhin gültig.

 

 

Die Motion Müller würde dem Image des Landes schaden

 

Der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs erklärte den Plan der britischen Regierung, ihre Asylverfahren nach Ruanda zu verlagern, für illegal. Derweil muss die Schweiz in der kommenden Wintersession eine Motion von Ständerat Damian Müller (FDP) behandeln, die verlangt, abgewiesene eritreische Geflüchtete dorthin zurückzuschicken. Der Inhalt der Motion ist voller Ungenauigkeiten und Fehlinformationen über die Rechtmäßigkeit der Maßnahme, die die Parlamentarier:innen nach der Ernsthaftigkeit des Vorhabens fragen lassen sollten. Die Antwort des Bundesrates liefert einige sachliche Elemente. Im Folgenden schlagen wir einige Ergänzungen vor, die für die öffentliche Debatte nützlich sind.

 

Die Versuchung der Auslagerung ... und ihre Tücken

 

Die Frage, ob Asylverfahren ganz oder teilweise ausgelagert werden sollen, wird von den europäischen Regierungen regelmäßig thematisiert. Ihr Ziel besteht in der Regel vor allem darin, nach außen ein abschreckendes «Signal» zu setzen. In Dänemark wurden die für 2021 groß angekündigten Verhandlungen mit Ruanda im Januar 2023 abgebrochen. Das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) ist besorgt über die kürzlich von der italienischen Regierung unter Georgia Meloni angekündigte Vereinbarung mit Albanien und erinnert an seine Haltung zur Frage der Auslagerung. Das UNHCR begrüßte das Urteil des Obersten Gerichtshofs des Vereinigten Königreichs.

 

Eine illegale, teure Schweizer Motion mit geringer Reichweite

 

Vor diesem Hintergrund wird sich der Nationalrat mit der Motion 23.3176 befassen müssen, die im März 2023 von FDP-Ständerat Damian Müller eingereicht wurde. Es besteht kein Zweifel an ihrer wahltaktischen Zielsetzung oder an den Beweggründen der Mitglieder des Ständerats. Diese haben den Antrag in der Sommersession angenommen, obwohl er offensichtlich rechtswidrig, kostspielig und von geringer praktischer Bedeutung ist, wie der Bundesrat in seiner Antwort betonte. Die Kosten für das Image der Schweiz wurden damals nicht berücksichtigt. Die Mitglieder des Nationalrats sollten jedoch auch diese Kosten in die Waagschale werfen, wenn sie im Dezember abstimmen. Sie sollten insbesondere die folgenden Punkte berücksichtigen

 

  • Die sehr geringe Anzahl von Personen, die von dieser Motion betroffen sind (300 Personen in der Schweiz)

 

  • Die Kosten der Massnahme sind ungewiss. London hat im Rahmen seines Abkommens, das nun als rechtswidrig eingestuft wurde, mehr als 120 Millionen Pfund Sterling gezahlt.

 

  • Was bedeutet es, sich im Rahmen dieser Externalisierungsabkommen an einen Drittstaat zu binden ? Präzedenzfälle in der jüngeren europäischen Geschichte sind Libyen und die Türkei. Beides Länder, die  die Migrationsfrage im Rahmen von politischen Krisen instrumentalisieren. Die aktive Bereitschaft Ruandas für europäische Staaten diese Rolle des Migrationsmanagements zu übernehmen, muss durch das Prisma dieser geostrategischen Herausforderungen verstanden werden.

 

 

  • Illegalität der Massnahme: Um eine Zwangsausschaffung in einen Drittstaat vorzunehmen, ist die Schweiz verpflichtet, die Verbindung der betroffenen Personen zu dem betreffenden Land gemäss Gesetz zu prüfen. Sie müsste auch die Einhaltung der Menschenrechtsstandards durch den Drittstaat, hier Ruanda, garantieren und müsste dafür Garantien von Kigali einholen. Im Vorfeld der ruandischen Wahlen im Jahr 2024 kam es jedoch zu Menschenrechtsverletzungen.

     

Die «Legalität» der Standortverlagerung. Eine faktisch falsche Argumentation

 

Was steht im Antrag?

Am 15. März 2023 reichte Ständerat Damian Müller eine Motion ein, in der er den Bundesrat aufforderte, ein Pilotprojekt zur Rückführung von abgewiesenen Personen in einen Drittstaat zu lancieren. Das Projekt richtet sich gegen abgewiesene eritreische Staatsangehörige. Er erinnert daran, dass die Betroffenen nicht unter Zwang nach Eritrea zurückgeschickt werden können, da die eritreische Regierung solche Abschiebungen ablehnt. Damian Müller fordert, schnell ein Land zu finden, das bereit ist, abgelehnte eritreische Staatsangehörige aufzunehmen, und nennt Ruanda als Beispiel. Ein Mechanismus, der eine finanzielle Entschädigung beinhaltet, sollte eingerichtet werden, ebenso wie eine Evaluierung.

In Bezug auf die in der Motion befürwortete Externalisierung, d. h. die Rückführung von abgewiesenen Personen in einen Drittstaat, insbesondere nach Ruanda, meint der Motionär, dass diese Maßnahmen legal seien, und stützt sich dabei auf zwei faktisch falsche Elemente. Die Formulierung von Damian Müller zeigt, dass er selbst keine Ahnung hat, ob die Maßnahme legal ist oder nicht!

 

Falsche Behauptung #1 - Das falsche Beispiel des UNHCR in Ruanda

 

Der Motionär behauptet, dass es legal wäre, das gesamte Asylverfahren im Ausland durchzuführen und nennt als Beispiel das UNHCR, das "bereits die Asylverfahren von Asylsuchenden aus Libyen nach Niger und Ruanda auslagert".

  • Warum das nicht stimmt - Der UNHCR nutzte diese beiden Länder, um besonders schutzbedürftige Flüchtlinge aus Libyen zu evakuieren, da sie dort unter Gewalt und Haftbedingungen lebten. Dabei handelte es sich um eine Übergangslösung, um in Sicherheit zu gelangen. Der Emergency Transit Mechanism zielt darauf ab, ihren Fall zu bearbeiten und eine dauerhafte Lösung für sie zu finden, einschließlich eines Ortes zur Neuansiedlung. Evacuees  from  Libya - Emergency Transit Mechanism - UNHCR Rwanda. Lesen Sie auch das Factsheet zur Lage in den beiden ETMs (Juni 2023): Document - UNHCR Flash Update ETM Niger and Rwanda

 

Falsche Behauptung #2 - Das Abkommen mit Senegal von 2003

 

Der Motionär stützt sich auf einen Versuch eines Transitabkommens mit Senegal aus dem Jahr 2003 und meint, er könne «also davon ausgehen, dass die Rechtmäßigkeit der Rückführung von Asylsuchenden in Drittländer bereits geprüft worden ist». 

  • Warum das nicht stimmt - Der Bundesrat erinnert in seiner Antwort daran, dass das fragliche Abkommen auf den «Transit» von abgewiesenen Personen abzielte, die nicht direkt in ihr Herkunftsland zurückkehren konnten, und dass das Abkommen eine Rückkehr in die Schweiz vorsah, falls es diesen Personen nicht möglich sein sollte, ihre Reise fortzusetzen. Der fragliche Antrag «würde viel weiter gehen», da es sich um eine Umsiedlung in einen Drittstaat handeln würde, «eine Praxis, die von keinem europäischen Staat verfolgt wird».

 

Auslagerung in Ruanda ist laut britischem Obersten Gerichtshof illegal.

 

Der Ruanda-Plan der britischen Regierung wurde am 15. November 2023 vom Obersten Gerichtshof des Vereinigten Königreichs beerdigt. Rishi Sunaks Vorzeigeprojekt, das Asylverfahren für Personen, die irregulär in das Land einreisen, nach Ruanda zu verlagern, wurde als rechtswidrig eingestuft. Ruanda ist kein sicheres Land, bestätigten die Richter, und die Gefahr, dass die Abgeschobenen in ihr Heimatland zurückgeschickt werden, würde gegen den im Völkerrecht verankerten Grundsatz der Nichtzurückweisung verstoßen. Die 120 Millionen Pfund Sterling, die London im Rahmen dieses Abkommens bereits an Kigali überwiesen hat, werden den Zielen der englischen Regierung nicht dienlich sein. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ordnete die Aussetzung des von London organisierten Sammelflugs im Juni 2022 an, und der High Court hob im Dezember desselben Jahres die individuellen Abschiebungsentscheidungen auf.

 

 

Nützliche Ressourcen

 

 

 

  • Was die Externalisierung im weiteren Sinne und das Abkommen zwischen Italien und Albanien betrifft, dessen Inhalt ihm nicht bekannt ist, erinnert der UNHCR an seine früheren Positionen zur Externalisierung von Verfahren und an den Grundsatz, dass «Rückführungen oder Überstellungen in sichere Drittstaaten nur dann in Betracht gezogen werden können, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Insbesondere müssen diese Länder die Rechte aus der Flüchtlingskonvention und die menschenrechtlichen Verpflichtungen uneingeschränkt respektieren, und das Abkommen muss zu einer gerechten Aufteilung der Verantwortung für Flüchtlinge zwischen den Staaten beitragen, anstatt diese Verantwortung zu übertragen.»

 

  • Im Rahmen einer Debatte über Outsourcing (20.11.23, Forum (RTS)) spricht der ehemalige Direktor des Bundesamtes für Migration, Edouard Gnesa, über seine Erfahrungen. Er spricht über vergangene Versuche und die Ineffizienz dieser Art von Maßnahmen.

 

Den Text in der Originalversion (auf Französisch) auf asile.ch lesen.