Gestern am frühen Morgen holte die Polizei eine Familie mit Kindern im Alter von fünf, drei und zwei Jahren im Asylcamp Sonnenbühl in Oberembrach (ZH) ab. Die Polizei fesselte die Mutter an den Händen und den Vater am ganzen Körper, setzte ihm einen Helm auf den Kopf und steckte ihm einen Gegenstand in den Mund, um ihn zu knebeln. Zusammen mit ihren Kindern wurden sie von mehr als einem Dutzend Polizist*innen abgeführt. Sie sollen nach Kroatien ausgeschafft werden. In Kroatien droht der Familie die weitere Abschiebung in die Türkei, dem Staat, aus dem sie geflohen sind.
Die anderen Menschen, die im Lager untergebracht sind, haben die brutale Verhaftung miterlebt. Die Auswirkungen auf ihre Psyche sind ungewiss.
„Wir verabscheuen diese Entrechtung und Entmenschlichung“, erklärt das Migrant Solidarity Network
Laut der Asylstatistik hat das Staatssekretariat für Migration (SEM) im Jahr 2022 17 Personen nach Kroatien abgeschoben. Das SEM gibt auch an, dass es sich dabei um fünf Familien handelte. Aktuell nehmen die Abschiebungen nach Kroatien zu. Soweit wir wissen, wurden in diesem Jahr bereits sechs Personen abgeschoben. Ausserdem wurde gestern eine weitere Person auch nach Kroatien abgeschoben.
Kroatien ist jedoch kein sicheres Land für Personen auf der Flucht (siehe dazu den Bericht der SFH und von Sosf). Das SEM sollte von der in den Dublin-Abkommen vorgesehenen Souveränitätsklausel Gebrauch machen. Asylanträge könnten problemlos in der Schweiz bearbeitet werden. "Das wäre menschlich korrekt und weniger rassistisch", so das Migrant Solidarity Network.
Wir haben auch erfahren, dass am gleichen Tag, eine weitere Person nach Kroatien ausgeschafft wurde.
In Kroatien tappte die Familie in die „Dublin-Falle“
Auf der Reise in die Schweiz durchquerte die Familie Kroatien. Wie viele andere war die Familie im Grenzgebiet mit der skrupellosen Brutalität der kroatischen Polizei konfrontiert. Unzählige Berichte von betroffenen Personen (auch hier) sowie von Medienschaffenden zeigen auf, dass die kroatische Polizei geflüchtete systematisch unmenschlich behandelt. Noch am 17. Januar sprach der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Kroatien für schuldig. Es war einer der wenigen Fälle in dem es einer geflüchteten Person gelang zu Klagen.
Als die kroatische Polizei die Familie festnahm, speicherte sie deren Fingerabdrücke in einer Datendatenbank. Darauf stützte sich das SEM, um das Asylgesuch mit Verweis auf das Dublin-Abkommen ohne weitere Prüfung der Fluchtgründe abzuschmettern und die Familie loszuwerden.
Denn laut SEM gebe es in Kroatien ausschliesslich im Grenzgebiet Probleme für geflüchtete Personen. Nichts beweise, dass es im Innern des Landes Probleme gäbe. Schliesslich sei Kroatien ein Schengenstaat. Geflüchtete, die Opfer von Polizeigewalt wurden oder mit anderen Problemen sollen sich einfach an den „funktionierenden Rechtsstaat“ Kroatiens wenden. Es gibt in Kroatien jedoch keine unabhängige Stelle, die Beschwerden gegen die kroatische Polizei registriert, wie das Komitee gegen Folter des Europarates (CPT) feststellte.
Aus Furcht vor ihrer Dublin-Ausschaffungen mobilisieren sich betroffene Personen
Im Dezember überreichten betroffene Personen beim Bundeshaus eine Petition mit über 6500 Unterschriften und im Januar demonstrierten über 1000 (vorwiegend betroffene) Personen in Bern gegen Dublinabschiebungen nach Kroatien. Für diesen Freitag ruft eine betroffene Familie zum Protest gegen das SEM auf. Allmählich springt der Funke auf die Schweizer Politik über. Im Kanton Waadt wenden sich 52 Parlamentarier*innen an die kantonale Regierung, damit die vom SEM beschlossenen Abschiebungen im Kanton Waadt nicht durchgeführt werden. Das MSN appelliert an ein stärkeres Zusammenstehen der solidarischen Menschen und Organisationen in der Schweiz. Nur so lässt sich eine lebensbejahende Politik gegen die lebensverneinende der Rechten und Behörden behaupten.
Ein Statement von StopDublinCroatia - Bleiberecht - Migrant Solidarity Network - Solidarité sans frontières