Ressourcen für einen effektiven Kampf gegen den Menschenhandel

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Die Motion Streiff-Feller fordert Ressourcen für eine wirksame Bekämpfung des Menschenhandels. Um die Aufmerksamkeit der Ständerät:innen auf die Bedeutung dieses Themas zu lenken, hat die Plattform Menschenhandel einen Brief an sie geschrieben. Hier können Sie den Brief  lesen:

 

Motion 19.3265: «Ressourcen für einen effektiven Kampf gegen den Menschenhandel»

 

Sehr geehrte Frau Ständerätin

Sehr geehrter Herr Ständerat

 

Im Winter 2020 stimmte der Nationalrat der Motion der ehemaligen Nationalrätin Marianne Streiff-Feller zu. Seither sind fast vier Jahre vergangen. Anfang 2023 wurde der 3. Nationale Aktionsplan gegen Menschenhandel (NAP) 2023-2027 lanciert. Den Kantonen wurde eine zentrale Rolle bei seiner Umsetzung zugewiesen. Trotz des neuen Aktionsplans ist unklar, mit welchen finanziellen Ressourcen er sowohl auf nationaler als auch auf kantonaler Ebene umgesetzt werden soll. Die Tatsache, dass die Umsetzung des Aktionsplans gefährdet ist, wurde im Parlament mehrfach angesprochen - woraufhin der Bundesrat hat keine zufriedenstellenden Lösungen präsentierte.[1] Die Frage der Finanzierung wurde von der Expertengruppe des Europarats zur Bekämpfung von Menschenhandel (kurz: GRETA) in ihren am 20. Juni 2024 veröffentlichten Empfehlungen an die Schweiz kritisiert: 

 

«GRETA considers that the Swiss autorities should ensure that adequate funding is provided by the Confederation to action against trafficking in human beings [THB] to enable a harmonised approach to combating THB across Switzerland […].»[2]

 

In der Praxis beobachten die Mitglieder der Plattform Traite - Schweizer Plattform gegen Menschenhandel - enorme kantonale Unterschiede bei der Bekämpfung des Menschenhandels: 

 

Zu wenig Ressourcen für Strafverfolgungsbehörden und Kooperationsorgane

  • Kantonale und eidgenössische Institutionen schaffen keine spezialisierten Schutzmechanismen mit angemessenen Ressourcen, sowohl bei der Strafverfolgung, der interdisziplinären Zusammenarbeit (insbesondere die kantonalen Runden Tische gegen Menschenhandel) als auch beim Opferschutz. Es gibt weiterhin sechs Kantone, die über kein Kooperationsorgan zur Bekämpfung des Menschenhandels verfügen, und spezifische Ressourcen in der Strafverfolgung des Menschenhandels sind reines Wunschdenken. 
  • In den wenigen Kantonen, die über eine auf Menschenhandel spezialisierte Opferschutzorganisation, Polizei und Staatsanwaltschaft verfügen, werden die Situationen in der Regel erkannt und Urteile wegen Menschenhandels gefällt.
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Opferschutz als zentrales Element einer wirksamen Strafverfolgung

  • In einigen Kantonen, unter anderem im Tessin, haben Opfer von Menschenhandel bislang nur sehr selten Zugang zu Opferhilfeleistungen, auf die sie – ab dem ersten Verdacht – nach dem Schweizer Opferhilfegesetz und dem Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels Anspruch hätten. Die Opfer können somit nicht angemessen unterstützt und vor einem erneuten Risiko des Menschenhandels und der Ausbeutung geschützt werden. 
  • Kein oder mangelhafter spezialisierter Opferschutz verhindert zudem eine wirksame Strafverfolgung von Menschenhandel, bei der die Opfer die wichtigsten Beweisträger oder Zeugen sind. Die Täter kommen oft unbestraft davon. Unsere Erfahrung zeigt: Nur ein Opfer, das sich sicher fühlt und professionelle Unterstützung erhält, ist bereit, den langen, anspruchsvollen und oft retraumatisierenden Weg in einem Strafverfahren zu gehen.

     

Menschenhandel kennt keine Kantonsgrenzen

  • Die Ressourcen sind von Kanton zu Kanton äusserst unterschiedlich. Einige Kantone sind der Ansicht, dass es in ihrem Kanton keinen Menschenhandel gibt. Dementsprechend sehen sie auch keine Notwendigkeit, Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

     

Der Bund sieht sich seiner Verantwortung gegenüber

  • Wenn der Bund sich bemüht hat, einen neuen nationalen Aktionsplan auszuarbeiten, muss er auch die Voraussetzungen dafür schaffen, dass dieser umgesetzt werden kann. 
  • Die Zunahme der Opfer in den letzten Jahren geht nicht mit einer Zunahme der Ressourcen der spezialisierten Stellen einher: 

     

 

Statistiken des Menschhandels

 

 

Zudem bestehen die spezifischen, langwierigen und anspruchsvollen Bedürfnisse der Betroffenen auch ohne Strafverfahren.

 

  • Das Opferhilfegesetz (OHG) greift zurzeit nicht bei Opfer von Menschenhandel, die im Ausland ausgebeutet wurden. dies führt zu einer zusätzlichen Belastung auf spezialisierte Fachstellen. Die entsprechende Anpassung des OHG wurde jüngst auch wieder von GRETA dringend gefordert.

 

Die Motion 19.3265: «Ressourcen für einen effektiven Kampf gegen den Menschenhandel» hat leider nichts von ihrer Aktualität verloren; in Bezug auf die Klärung der Finanzierungsfrage und die Notwendigkeit von mehr finanziellen Ressourcen, ist in der Zwischenzeit wenig geschehen. Die Rolle des Bundes ist in dieser Frage von zentraler Bedeutung.

 

Aufgrund der obigen Ausführungen ermutigen wir den Ständerat, dem Nationalrat zu folgen und die Motion 19.3265 anzunehmen.

 

Wir danken Ihnen herzlich für Ihre Kenntnisnahme und für Ihr Engagement in der Bekämpfung von Menschenhandel auf nationaler Ebene!

 

Freundliche Grüsse 

Georgiana Ursprung, Koordinatorin Plattform Traite  

Priska Seiler-Graf, Ko-Präsidentin Parlamentarische Gruppe Menschenhandel


 

[1] Vgl.  23.7434 Lilian Studer: «Einheitliche und umfassende Umsetzung des 3. Nationalen Aktionsplans - wo stehen die Kantone?», Link: https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20237434 [Stand: 17.7.2024]; 23.7441 Céline Widmer: «Umsetzung Nationaler Aktionsplan gegen Menschenhandel», Link: https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20237441 [Stand: 17.7.2024]; 23.7402 Franziska Roth: «Finanzhilfen für Präventionsgelder gegen Menschenhandel», Link: https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/amtliches-bulletin/amtliches-bulletin-die-verhandlungen?SubjectId=61001 [Stand: 17.7.2024]; 23.7411 Priska Seiler Graf: «Präventionsgelder zur Bekämpfung von Menschenhandel», Link: https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20237411 [Stand: 17.7.2024].

 

[2] Vgl. GRETA (2024)09, “Evaluation Report Switzerland. Third Evaluation Round”, Ziff. 29, Link: https://rm.coe.int/greta-evaluation-report-on-switzerland-third-evaluation-round-focus-ac/1680b079a5 [Stand: 17.7.2024].