Die SVP macht müde

Artikel
Striche schwarz und pink

Es überrascht nicht, dass die SVP ihre Offensive gegen die Bewegungsfreiheit und gegen das Asylrecht auch in der neuen Session fortsetzt. Die von ihr eingereichten Vorstösse haben kein anderes Ziel, als das Feuer im Kampf gegen die Würde der Migrant:innen am Lodern zu halten. Hier kommt die Top 4 der dümmsten und hinterhältigsten Anträge der SVP:

 

Motion 24.3056: Asylsuchende, die ein sicheres Land durchqueren, sind keine Flüchtlinge

Laut Jean-Luc Addor lassen sich Asylsuchende «vor allem von wirtschaftlichen Aspekten leiten». Die Zahlen des SEM widersprechen ihm. Im Jahr 2023 erhielten 80.1% der Personen, deren Asylgesuch inhaltlich geprüft wurde, Schutz in der Schweiz.

 

Es ist wahrscheinlich nicht nötig, Nationalrat Addor daran zu erinnern, dass die Schweiz keine Insel ist und dass sie geografisch von anderen Ländern umgeben ist. Hingegen wäre es angebracht, ihn darüber in Kenntnis zu setzen, dass die Wahl des Ziellandes von Asylsuchenden aus diversen legitimen Gründen erfolgt, wie zum Beispiel einem familiären Netzwerk, der Präsenz einer Diaspora oder aufgrund von Sprachkenntnissen. Oder selbst aus Überzeugung, in ein Land zu reisen, das für die Einhaltung der Menschenrechte bekannt ist (welch Ironie, wenn man bedenkt, dass die grösste Fraktion im Schweizer Parlament den Bundesrat wortwörtlich dazu auffordert, die EMRK aufzukündigen).

 

Zwar gibt es Migrant:innen, die ihren Aufenthaltsort aus wirtschaftlichen Gründen wählen, bei ihnen handelt es sich aber vor allem um Steuerflüchtige. Und diese müssen sich sicher keine Sorgen machen, dass die SVP gegen sie kämpft. Addor, selbst Anwalt, vergisst, dass der Flüchtlingsstatus durch eine Konvention geschützt ist, die vor über 70 Jahren unterzeichnet wurde. Er vergisst, dass die aktuelle Gesetzgebung Nichteintretensentscheide für Personen vorsieht, die durch einen Dublin-Staat gereist sind oder sich in sicheren Drittstaaten aufgehalten haben. Und wenn man der Bundesverwaltung eines nicht vorwerfen kann, dann ist es, dass sie diese Bestimmungen nicht konsequent anwenden würde.

 

Motion 24.3718: Zeitnahe Entlastung des Gesundheitswesens durch Übernahme der Gesundheitskosten von asylsuchenden Personen durch den Bund

Laut Pirmin Schwander sind Asylsuchende für die hohen Krankenversicherungskosten verantwortlich. Für eine Partei, die sich im Kampf gegen die Macht der Versicherungen nie besonders hervorgetan hat und die es kategorisch abgelehnt hat, die Prämien auf weniger als 10% des Lohns zu begrenzen, ist das ganz schön starker Tobak. Weniger als zwei Tausendstel der Bevölkerung für die hohen Gesundheitskosten verantwortlich zu machen, ist grotesk. Es grenzt an Unehrlichkeit, wenn man bedenkt, wie sehr Asylsuchende von mangelhafter medizinischer Versorgung betroffen sind.

 

Motion 24.3059: Datenaustausch bei illegalen Migranten systematisieren

Christoph Riner zielt hier auf die Sans-Papiers ab. Obwohl er sich auf den Bericht «Gesamthafte Prüfung der Problematik der Sans-Papiers» des Bundesrates stützt, ignoriert er, dass es sich dabei grösstenteils um Personen handelt, die schon sehr lange in der Schweiz leben; Personen, die Familien haben, die arbeiten, die in die Sozialversicherungen einzahlen (insbesondere in die obligatorische Krankenversicherung). Vor allem aber sind es Menschen, deren oft prekäre Arbeit für das wirtschaftliche Funktionieren aller anderen Menschen in der Schweiz lebenswichtig ist. Und es soll uns niemand erzählen, dass SVP-Mitglieder keine Sans-Papiers anstellen (oder besser gesagt ausbeuten).

 

In einem Punkt stimmen wir jedoch mit der SVP überein: Die Existenz von Sans-Papiers in der Schweiz ist unsinnig und vor allem heuchlerisch. Unsere Lösung unterscheidet sich jedoch stark von der der SVP. Statt Überwachen und Strafen fordern wir jedoch kollektive Regularisierungen. Nur so kann die Schweiz ihre Schulden gegenüber ihren Sans-Papiers-Arbeiter:innen begleichen.

 

Motion 24.3058: Schaffung von Transitzonen zur Durchführung sämtlicher Asylverfahren gemäss Artikel 22 AsylG

Wenn man diesen Antrag, aber auch die Antwort des Bundesrates genau liest, bleibt einem schnell das Lachen im Halse stecken. Es ist ein Fest der Paradoxien. Die SVP schlägt hier die Übernahme des problematischsten Teils des EU-Migrations- und Asylpakts durch die Schweiz vor: Haftlager an den Grenzen. Dies lässt uns gespannt auf die Position der SVP zur Übernahme der EU-Asylreform warten: Wird sie dafür oder dagegen sein?

 

Die Antwort des Bundesrates ist jedoch noch verwirrender. Er lehnt den Vorschlag der SVP ab, weil solche Lager «einer Eingrenzung oder einer Internierung» gleichkommen würden. «Ohne konkrete Haftgründe und nur aufgrund des Umstandes, dass eine betroffene Person ein Asylgesuch eingereicht hat, würde eine solche Massnahme einen unverhältnismässigen Eingriff in die persönliche Freiheit darstellen. Sie wäre damit weder mit der Bundesverfassung noch mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar.» Ehrlich gesagt: Wir sind sprachlos. Denn dieses Zitat stammt von der gleichen Behörde, die kürzlich einen Entwurf zur Übernahme der europäischen Asylreform in die Vernehmlassung gegeben hat, die selbst geschlossene Lager an den europäischen Aussengrenzen fordert. Wie geht es Ihnen, lieber Bundesrat, leben Sie gut mit dieser Inkohärenz?

Labels